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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Autoren: Thomas Karlauf
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Gesprächen und Briefen »taucht Georges Name nie anders auf als wie ein Maßstab, ein trigonometrischer Punkt zur Bestimmung des eigenen Kurses«. George sei für ihn »in bestimmtem Sinne der einzige Dichter der Epoche« gewesen, bekannte Hofmannsthal noch Mitte der zwanziger Jahre. 37 Als sei das Gespräch zwischen ihnen nie abgerissen, durchziehen die Spuren der Beschäftigung mit George sein Werk vom Tod des Tizian über den Chandos-Brief und Das Gerettete Venedig bis hin zum Andreas- Roman. In der Figur des Maltesers hat Hofmannsthal seine Erinnerungen an George auf beklemmende Weise komprimiert. Die über viele Jahre entstandenen Notizen bilden die Summe dessen, was ihn an ihm faszinierte und zugleich befremdete. Einiges
deutet darauf hin, dass er in der Geschichte der Erziehung des jungen Andreas von Ferschengelder durch den Malteser Sacramozo seine Freundschaft mit George zu verarbeiten suchte. Allerdings wollte er die Geschichte so erzählen, wie sie hätte verlaufen können, wenn beide etwas geduldiger und großzügiger miteinander umgegangen wären. »Die Stunden mit Sacramozo waren das Leuchtende in seinen Tagen.« 38
    Und George? »Mögen ihr hr. sohn und ich uns auch im ganzen leben nicht mehr kennen wollen«, schrieb er am 16. Januar kurz vor seiner Abfahrt aus Wien an den Vater Hofmannsthal,
    für mich bleibt er immer die erste person auf deutscher seite die ohne mir vorher näher gestanden zu haben mein schaffen verstanden und gewürdigt – und das zu einer zeit wo ich auf meinem einsamen felsen zu zittern anfing es ist schwer dem nicht-dichter zu erklären von wie grosser bedeutung das war. Das konnte denn kein wunder sein dass ich mich dieser person ans herz warf (Carlos? Posa?) und habe dabei durchaus nichts anrüchiges gefunden. 39
    George bemühte sich, den Faden nicht reißen zu lassen, und hielt bis über die Jahrhundertwende hinaus an der Hoffnung fest, Hofmannsthal doch noch einbinden zu können. Als dieser allerdings immer häufiger im feindlichen Lager der Borchardt, Heymel, Schröder gesichtet wurde und im März 1906 ein Streit über Urheberrechte entbrannte, kam es zum endgültigen Bruch. Hofmannsthal drohte mit rechtlichen Schritten, George ließ wie ein Geschäftsmann antworten: »sehen wir dem von Ihnen angedrohten Rechtsgang mit Ruhe entgegen«. 40 Was folgte, waren literarische Grabenkämpfe der jeweiligen Gefolgsleute, die den einen gegen den anderen auszuspielen suchten und die Ereignisse beim Jahreswechsel 1891/92 in ihrem Sinn umdeuteten.
    Aus einem begabten, wenn auch »fraulich-unberechenbaren« Gymnasiasten sei damals durch »das Wunder der Weiterzeugung« ein Dichter begnadeter Verse geworden, der aber, da er »die Führerschaft Georges verschmäht« habe, bald in die Beliebigkeit gefallen sei und sein Heil in seichten Libretti suchte – so die 1930 von Wolters exekutierte
offizielle Lesart der Georgeaner. 41 Es sei geradezu frivol, hatte Gundolf schon zwanzig Jahre früher gegen Borchardt gewettert, »den heutigen Hofmannsthal der dialekt-komödien und operettentexte der deutschen jugend als meister und vorbild zu preisen«. 42 Als nach der Erstaufführung des Rosenkavalier 1911 das Gespräch auf Hofmannsthal kam, tat Karl Wolfskehl ganz erstaunt: »Ach, Sie sprechen über den Dichter Hofmannsthal! Der war enorm. Aber der ist 1906 gestorben. Das Libretto ist von seinem Vetter gleichen Namens.« 43 Es ist diese radikale Um-Schreibung der Geschichte, die George und die Seinen so gewalttätig erscheinen lässt.
    In der Zurückweisung durch Hofmannsthal lag das folgenreichste Ereignis im Leben Georges. Nie wieder wollte er einem anderen Menschen so ausgeliefert sein wie Hugo von Hofmannsthal an jenem 14. Januar 1892, als er im 9. Wiener Bezirk auf die Rückkehr des Dienstmanns aus der Salesianergasse wartete. Auf der sittlichen Ebene ließ sich die Katastrophe mit einiger Mühe zwar in einen Sieg über Hofmannsthal umdeuten. »Es war einer besitzergreifenden Natur wie der seinen nicht gegeben, aus einer persönlichen Zuneigung anderes als einen sittlichen Anspruch abzuleiten und deren Nicht-Erwiderung anders zu verstehen denn als ein sittliches Versagen« des Umworbenen. 44 Aber gerade weil er sich eine persönliche Niederlage nicht vorzustellen vermochte, trug George emotional tiefe Wunden davon. Es sollte Jahre dauern, bis sie verheilten.

    ca. 1899

I Der Aufstieg 1868-1898
    Sagen Sie
Ihm, dass er für die Träume seiner Jugend
Soll Achtung tragen, wenn er Mann sein
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