Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Stars & Stripes und Streifenhörnchen

Titel: Stars & Stripes und Streifenhörnchen
Autoren: Michael Streck
Vom Netzwerk:
Supermarkt gespielt und im Radio und bei jeder, jeder, jeder Sportveranstaltung. Ich hatte immer ein Hymnen-Problem, schon als Kind, aber das schien sich nicht vererbt zu haben. Die Töchter sind in jedem Fall gute Amerikanerinnen geworden.
    Im ersten Sommer wollten die beiden ins Camp. Jedes amerikanische Kind kennt Camps. Denn die Sommerschulferien in Amerika sind mindestens zwei Monate lang, und amerikanische Eltern haben selten mehr als zwei Wochen Urlaub pro Jahr. Deshalb gibt es Camps für betreutes Spielen. Es gibt auch Camps für weniger leidliche Kinder, die sogenannten »Boot Camps«, welche aber pädagogisch weniger empfehlenswert sind, weil dort die weniger leidlichen Kinder auch weniger leidlich behandelt werden und nach sportlichen Aktivitäten wie beispielsweise 30-Meilen-Märschen durch die Wüste von Arizona schon mal verdursten. Unsere Töchter mögen keine 30-Meilen-Märsche durch Wüsten, sie mögen nicht mal Spaziergänge, und also entschieden wir uns für das Playland-Camp in Rye, den morbiden Vergnügungspark mit den morbiden Karussells drin.
    Am ersten Tag des Camps kamen die Töchter irritiert nach Hause. Sie waren schwimmen, prima Sache an sich. Aber alle zehn Minuten mussten sie raus aus dem Pool, weil ein Betreuer »Buddy-Check!« rief, was nichts mit Rempeleien beim Eishockey zu tun hat, sondern so viel heißt wie »Kumpels zählen«. Auf diese Weise prüften die Betreuer, ob in den letzten zehn Minuten ein Kind abgesoffen war. Die kleinere Tochter fand das zwar reichlich »stupid«, wie sie beteuerte. Sie wollte nur schwimmen und nicht alle paar Minuten Kumpels zählen, die sowieso nicht absoffen. Aber wir erklärten ihr behutsam, dass das so ist in Amerika.
    Denn nichts geht in diesem Land über die Sicherheit der lieben Kleinen. Deshalb dürfen Kinder unter zwölf Jahren nicht alleine Fahrrad fahren, nicht alleine schwimmen, nicht mal alleine aufs öffentliche Klo. Andererseits dürfen amerikanische Kinder schon mit zwei Jahren in TV-Shows auftreten, mit fünf Schönheitswettbewerbe gewinnen und mit 16 Auto fahren und kurz darauf dolle Pistolen kaufen. Amerikaner, das ist unbestritten, sind furchtbar kinderlieb und tun alles für ihre Nachkommen. Letzter Schrei sind Spas, Wohlfühl-Anlagen für Fünf- bis Zwölfjährige, in denen die für sündhaft viel Geld Gesichtsmasken verpasst kriegen und die Nägel lackiert und den Rücken massiert. Danach sehen die zwar nicht mehr wie Kinder aus, sondern wie manikürte Zwerge, aber den Eltern gefällt es, und das ist ja die Hauptsache. Amerikanische Kids haben es richtig gut. Morgens holt sie der gelbe Schulbus ab, und die Autos stoppen auf beiden Straßenseiten. Kurz darauf schlappen sie durch eine Metallschleuse wie auf dem Flughafen in die Bildungsanstalt. Sie könnten ja ihre dollen Pistolen dabeihaben und andere versehentlich erschießen. Die Amerikaner denken wirklich an alles.
    Unsere Töchter haben sehr schnell die vielen Verbote und Regeln verinnerlicht. Sie sind unselbständiger als früher und stellen Fragen, die sie in Deutschland nie stellten. In unserem allerersten Urlaub, acht Tage North Carolina, krähte die Kleinere über den Strand: »I have to pee! Darf ich aufs Kloo-hoo?« Wir nickten stumm und peinlich berührt. Dann, good old Europe!, hüpfte sie ins Meer.
    Aber selbst diesen sehr praktischen Aspekt europäischer Badekultur legten beide rasch ab, und als sich die Jüngere im zweiten Sommer am Strand mit Hilfe eines großen Badetuches und unter Umgehung der Kabinen umziehen wollte, sie war da acht, griff ihre Schwester, sie war da zehn, beherzt ein: »Bist du verrückt? Wenn du hier nackig bist, wirst du verhaftet!«. Das war zwar leicht übertrieben, aber nur leicht. An unserem Strand, am Long Island Sound, ist verhältnismäßig wenig erlaubt. Das Wickeln von Kleinkindern ist ebenso streng untersagt wie lautes Musikhören oder die Verköstigung von Alkohol. Eigentlich darf man nur stumm in der Sonne hegen und zur Abkühlung ins Meer, aber auch nicht weit. Zur vollen Stunde meldet sich ein Bademeister, der Lifeguard, via Lautsprecher und mit schnarrendem Ton, ungefähr so: »Es ist vier Uhr. Der Strand schließt in zwei Stunden. Kinder dürfen nur in Begleitung ihrer Eltern ins Wasser. Wenn Sie Mobil-Telefone benutzen, sprechen Sie bitte leise. Und Sie dort hinten mit der blauen Badekappe – Sie sind zu weit draußen. Schwimmen Sie sofort zurück.« Der Sing-Sang dieser stündlichen Weisungen hat was von Sing Sing.
    In
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher