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Stars & Stripes und Streifenhörnchen

Titel: Stars & Stripes und Streifenhörnchen
Autoren: Michael Streck
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oder Westen?« Die Frau nahm sich dann Zeit für Dave. In der irrigen und grob naiven Annahme, dass ein bisschen Geschichts- und Geografieunterricht womöglich die Rechnung positiv beeinflussen könne. Sie hockte sich also in den Waschmaschinentrümmerhaufen neben Dave auf den Küchenboden und zeigte unsere Urlaubsbilder aus dem »bad part« Deutschlands, Insel Rügen. Dave war schwer beeindruckt von Kreidefelsen und Kap Arkona und Fischerdörfchen und Binz und Ostsee, »Wow!«. Er hatte alles mögliche dort erwartet im »bad part« Deutschlands, wahrscheinlich rote Fahnen und stinkende Zweitakter und graue Menschen, aber nicht so eine Landschaft, blühend im Übrigen. Die Frau erklärte ihm behutsam, dass es also kein gutes und böses Deutschland mehr gäbe, »wir sind jetzt eins«, das nahm er zur Kenntnis, und dann hatte Dave eine Eingebung: »Ach ja, Ronald Reagan, richtig, richtig. Der hat doch die Mauer eingerissen.« Die Frau beließ Dave in dem Glauben, denn man sollte es sich nie, nie, nie mit Handwerkern verderben in Amerika. Dave kassierte seine 93 Dollar, und es gab keinen Rabatt, nicht mal für Reagan.
    Als Dave ging, wusch die Waschmaschine wieder. Aber leider nur so lange, bis der Geschirrspüler seinen Job tun sollte. Danach liefen weder Geschirrspüler noch Waschmaschine. Dave kam wieder am nächsten Tag, pfiff Beethovens Neunte und klärte uns auf. Die Sicherungen. Denn die Formel in unserem Haus geht so: Waschmaschine plus Geschirrspüler gleich Stromausfall. Er kassierte abermals 93 Dollar für handgestoppte drei Minuten Arbeit.
    Nach ein paar Wochen begannen wir Dave zu hassen und zu zweifeln am High-Tech-Land Amerika. Im Fernsehen funktioniert ständig alles in Amerika: die Telefone, die Computer, die Aufzüge, die U-Bahnen, die Geschirrspüler, Waschmaschinen und die Pistolen.
    Das Fernsehen lügt.
    In Wahrheit, außer im Fernsehen, funktioniert in Amerika verhältnismäßig wenig bis auf die Pistolen. Wenn wir zu Hause mit dem Handy telefonieren wollen, müssen wir bei gutem Wetter auf einen kleinen Hügel steigen, das Gerät in die Höhe halten und beten. Vor Jahren brannte in Lower Manhattan ein Trafo-Häuschen in der U-Bahn ab; ein Obdachloser hatte ein Feuerchen gemacht, um sich zu wärmen, minus dreizehn Grad, und das Feuerchen führte zu einem veritablen Chaos und verspätete 600 000 Menschen auf dem Weg zur Arbeit und zurück. Ein Offizieller von der U-Bahn erklärte anderntags, es werde drei bis fünf Jahre dauern, bis das Trafo-Häuschen wieder repariert sei. Das wiederum löste einen Protest-Sturm aus, und der arme Offizielle musste sich dafür entschuldigen. Obwohl der Mann nichts als die Wahrheit sprach, weil er amerikanische Handwerker vermutlich bestens kannte.
    Die ältere Tochter fragte kurz nach unserer Ankunft in Amerika erstaunt: »Was ist denn das da?« und deutete auf ein imposantes Kabelwirrwarr in der Luft. »Oberlandleitungen«, sagte die Frau damals. Die Tochter hatte Oberlandleitungen noch nie gesehen. Außer in Bayern vielleicht, aber nicht mal im »bad part« von Deutschland. So gingen die ersten Wochen ins Land. Mit kaputten Waschmaschinen, irreführenden Lichtschaltern und: Dave.
    Als wir uns an einem Sonntag im Oktober endlich an den Bücherberg machen wollten und die Töchter an die Taschenbuch-Südflanke setzten, fielen Bomben auf Afghanistan, und es wurde wieder nichts aus der Erstbesteigung. Zuvor hatten Geisteskranke Briefe mit Milzbrand-Erregern an Politiker, Fernsehmoderatoren und ganz normale Amerikaner verschickt, Menschen starben, und Amerika verfiel abermals in kollektive Hysterie. Im Fernsehen liefen Dauersendungen darüber, wie man sich am besten schützt vor Milzbrand und Bin Laden. Am besten mit Gasmasken und Klebeband an den notorisch undichten Fenstern. Auf der Madison Avenue in Manhattan machte ein Mann namens Dan Gallo in seinem »Counter Spy Shop« mörderische Umsätze. Er verkaufte fünfzig Gasmasken täglich und dazu Schutzanzüge, und seine dreizehnjährige Tochter guckte ein wenig betreten, als er die Dinger mit nach Hause brachte, schlüpfte aber auch hinein. So saß Familie Gallo abends vor dem Fernseher, in Schutzanzügen und mit Gasmasken, und lauschte toupierten Blondinen, die Schutzanzüge und Gasmasken priesen.
    David, unser prima Nachbar, kam wieder vorbei und warnte die naiven Europäer wieder: »Es ist Krieg«, und wir sollten den Wagen betanken und Wasser kaufen gehen und Klebeband für die Fenster am Haus, und wir versuchten,
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