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Stadt ohne Namen

Stadt ohne Namen

Titel: Stadt ohne Namen
Autoren: H.P. Lovecraft
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Bereich annahmen. Letztere Erzählungen interessierten mich zutiefst, auf Grund dessen, was ich in meiner Knabenzeit dort gesehen hatte, aber ich fühlte, daß die Bedeutung zum größten Teil in jedem Fall durch Hinzufügungen aus dem üblichen Bestand an lokalen Geistergeschichten stark verdunkelt wurde.
    Ann White, mit ihrem Exeter−Aberglauben hatte die ausgefallenste und gleichzeitig folgerichtigste Geschichte ausgestreut; die darauf anspielte, daß unter dem Haus einer jener Vampyre begraben sein müsse − einer jener Toten, die ihre Körperform beibehalten und sich vom Blut oder Atem der Lebenden ernähren − deren schreckliche Legionen ihre raubgierigen Gestalten oder Geister bei Nacht aussenden. Um einen Vampyr zu vernichten, muß man, so erzählten die Großmütter, ihn ausgraben und sein Herz verbrennen oder mindestens einen Pfahl durch dieses Organ treiben, und Anns hartnäckiges Beharren auf einer Suche unter dem Keller war der Haupt grund gewesen, weshalb man sie entlassen hatte.
    Ihre Geschichten fanden indessen ein breites Publikum, und sie wurden um so bereitwilliger aufgenommen, als das Haus tatsächlich auf einem Boden stand, der einst für Begräbniszwecke verwendet worden war. In meinen Augen lag das Interessante daran weniger in diesem Umstand, sondern in der merkwürdig abgestimmten Art, mit der sie mit gewissen anderen Dingen ineinanderpaßten −
    die Beschwerde des scheidenden Dieners Preserved Smith, der vor Ann dagewesen war und nie von ihr gehört hatte, daß »etwas ihm bei Nacht den Atem benehme«, die Totenscheine der Opfer des Fiebers von 1804, die Dr.
    Chad Hopkins ausgestellt hatte und die zeigten, daß alle vier Verstorbenen unerklärliche Blutarmut aufwiesen; und die dunklen Punkte in Rhoby Harris'
    Wahnvorstellungen, in denen sie sich über die scharfen Zähne und glasigen Augen einer halb sichtbaren übernatürlichen Erscheinung beschwerte Obwohl ich frei von ungerechtfertigtem Aberglauben bin, riefen diese Dinge in mir merkwürdige Gefühle hervor, die noch durch zwei weit auseinanderliegende Zeitungsausschnitte, die auf Todesfälle im gemiedenen Haus anspielten − einer aus der Providence Gazette and Country Journal vom 12. April 1815 und der andere aus dem Daily Transcript and Chronicle vom 27. Oktober 1845 − jeder schilderte genau einen erschreckend grauenhaften Umstand, dessen Duplizität bemerkenswert war. Es scheint, daß in beiden Fällen die Sterbenden, im Jahre 1815 eine gütige alte Dame namens Stafford und 1845 ein Lehrer in mittleren Jahren namens Eleazar Durfee, in gräßlicher Weise verändert wurden; glasig vor sich hinstarrend, versuchten sie, die sie behandelnden Ärzte in die Kehle zu beißen. Noch rätselhafter indessen war der letzte Fall, der dem Vermieten des Hauses ein Ende setzte − eine Serie von Todesfällen durch Blutarmut, der zunehmender Wahnsinn vorausgegangen war, in dessen Verlauf die Patienten geschickt versuchten, ihren Verwandten durch Zahnbisse in den Hals oder das Handgelenk ans Leben zu gehen.

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    Dies war 1860 und 1861, als mein Onkel gerade erst seine Arztpraxis eröffnet hatte und bevor er an die Front ging, hatte er viel darüber von älteren Berufskollegen gehört. Das wirklich Unerklärliche war die Art und Weise, in welcher die Opfer − ungebildete Leute, denn das übelriechende und allgemein gemiedene Haus konnte an niemand andern mehr vermietet werden −
    Verwünschungen in französischer Sprache plapperten, einer Sprache, die sie unmöglich studiert haben konnten. Man mußte dabei an die arme Rhoby Harris, fast ein Jahrhundert früher, denken, und es erschütterte meinen Onkel derart, daß er anfing, historische Daten über das Haus zu sammeln, nachdem er sich einige Zeit nach seiner Rückkehr aus dem Krieg einen Bericht aus erster Hand der Ärzte Chase und Whitmarsh angehört hatte. Ich konnte in der Tat erkennen, daß mein Onkel tief über die Sache nachgedacht hatte und daß er über mein eigenes Interesse froh war − ein unvoreingenommenes und mitfühlendes Interesse, das es ihm ermöglichte, mit mir Dinge zu besprechen, über die andere nur gelacht hätten. Seine Vorliebe ging nicht so weit wie meine, aber er fühlte, daß der Ort in seinen phantastischen Möglichkeiten ungewöhnlich sei und als Anregung auf dem Gebiet des Grotesken und Makabren bemerkenswert.
    Ich war meinerseits geneigt, die ganze Angelegenheit todernst zu nehmen, und begann sofort damit, nicht nur das Beweismaterial durchzusehen, sondern soviel
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