Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis

Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis

Titel: Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
Autoren: Ilona Andrews
Vom Netzwerk:
konnte.
    Ich verzog mich in die hinterste Ecke des Zimmers, die von der Tür aus nicht einzusehen war, und schlug die Akte auf. Wenn ich es nicht vertreiben konnte, würde ich eben warten, bis es von selbst verschwand.
    Als ich mir das letzte Mal Wörter der Macht angeeignet hatte, war ich hinterher vollkommen erschöpft gewesen. Nun aber war ich in Hochstimmung, geradezu besoffen von Magie. Die Energie erfüllte mich, und ich konnte kaum an mich halten. Am liebsten wäre ich herumgesprungen, hätte irgendetwas unternommen. Doch stattdessen musste ich mich in einer Ecke verstecken und mich auf diese Akte konzentrieren.
    Die Akte enthielt einen rechtsmedizinischen Bericht, die Zusammenfassung eines Polizeiberichts, einige eilig hingeworfene Notizen und etliche Tatortfotos. Ein Foto zeigte zwei auf dem Asphalt ausgestreckte Leichen, die eine bleich und splitternackt, die andere zerfleischt und blutüberströmt. Dann kam ich zu einer Nahaufnahme des zerfleischten Leichnams. Er lag mit ausgebreiteten Armen auf einem blutgetränkten Tuch. Etwas hatte ihm mit einem Schlag das Brustbein gebrochen und ihm dann mit unglaublicher Kraft den Brustkorb aufgerissen. Die Brusthöhle klaffte, die feucht schimmernde Masse des zermalmten Herzens dunkel vor den schwammartigen Überresten der Lunge und dem gelblichen Weiß der gebrochenen Rippen. Der linke Arm hing, aus dem Schultergelenk gerissen, nur noch an einem blutigen Fetzen.
    Das nächste Bild war eine Nahaufnahme des Kopfes. Traurig blickende Augen, die ich nur allzu gut kannte, sahen direkt in die Kamera und so auch mich direkt an. Oh Gott. Ich las die Bildbeschriftung. Dieser zerfetzte Fleischklumpen war alles, was von Greg übrig geblieben war.
    Meine Kehle war wie zugeschnürt, und ich kämpfte dagegen an. Das war nicht Greg. Das war nur sein Leichnam.
    Das nächste Foto lieferte mir einen genaueren Blick auf die zweite Leiche. Sie schien unversehrt, bis auf den Kopf. Der fehlte. Der Ansatz des Rückgrats ragte aus dem Halsstumpf, umgeben von Gewebefetzen. Doch es war kaum Blut zu sehen. Da hätte literweise Blut sein müssen. Der Leichnam lag schräg, Halsschlagader wie Drosselvene waren säuberlich durchtrennt. Also, wo war das ganze Blut geblieben?
    Ich stieß auf vier weitere Fotos der Leiche und legte sie nebeneinander auf dem Fußboden aus. Die glatte, marmorweiße Haut war über der Muskulatur straff gespannt, so als hätte der Körper keinerlei Fett, nur Muskelgewebe. Kein einziges Haar war zu sehen. Das Skrotum sah schrumpelig und ungewöhnlich klein aus. Ich brauchte eine Nahaufnahme der Hände, aber die gab es nicht. Da hatte jemand gepatzt. Aber das spielte nun auch keine große Rolle mehr, denn die übrigen verräterischen Anzeichen waren allesamt vorhanden. Auch ohne dass ich die Fingernägel betrachtet hatte, war die Sache klar: Was ich da vor mir hatte, war ein toter Vampir.
    Vampire sind definitionsgemäß tot, doch dieser hier hatte nun auch sein Dasein als Untoter hinter sich. Nicht einmal Ghastek mit all den nekromantischen Kräften, über die er gebot, vermochte einen Vampir wiederzubeleben, der keinen Kopf mehr hatte. Die Frage war nun, wem dieser Vampir gehörte. Die meisten Leute versahen ihre Vampire mit einem Brandzeichen. Wenn dieser hier ein Brandzeichen besaß, so sah man es zumindest auf keinem der Bilder, die der vollkommen unfähige Fotograf geschossen hatte.
    Was war in der Lage, einen Vampir und einen Wahrsager des Ordens gemeinsam auszulöschen?
    Der Vampir, unglaublich schnell und in der Lage, mit bloßen Händen ein ganzes Sondereinsatzkommando der Polizei niederzumachen, wäre alleine schon keine leichte Beute gewesen. Doch den Vampir und Greg zur Strecke zu bringen war so gut wie unmöglich. Und doch, da lagen sie – beide tot.
    Ich lehnte mich an die Wand und dachte nach. Der Täter musste über große Macht verfügen. Er musste schneller sein als ein Vampir, stark genug, um jemandem den Kopf abzureißen, und fähig, Gregs Magie abzuwehren. Die Liste der möglichen Täter, die mir auf Anhieb einfielen, war ziemlich kurz.
    Erstens: Das Volk konnte versucht haben, Greg zu töten, und hatte dabei einen seiner Vampire als Köder eingesetzt. Ein bejahrter Vampir war in den Händen eines erfahrenen und fähigen Herrn der Toten eine Waffe, die sich mit keiner anderen vergleichen ließ. Wenn mehr als einer beteiligt war, hatten sie womöglich Greg und ihren Blutsauger umgebracht. Das war kostspielig und unwahrscheinlich, da Greg gerade im
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher