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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste
Autoren: bayer
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»Weißt du noch? Bücher mit dickem Lederrücken mochtest du doch immer. Besonders die mit den Kalbslederrücken.«
    »Und was ist drin, in deinem blauen Buch?«
    »Schau rein«, forderte Leonardo sie auf.
    Crestina öffnete das Buch und stieß dann einen schrillen Schrei aus.
    »Unsere Kinderpalazzi! Leonardo, unser Spiel von früher! Unsere Zeichnungen, die wir damals gemacht haben, Riccardo, du und ich.«
    »In eurer palastlosen Zeit«, bestätigte Leonardo. »Du erinnerst dich ja noch sicher. Deine Stiefmutter war so versessen auf einen Palazzo, dass sie nur bereit war, deinen Vater zu heiraten, wenn er es ermöglichen würde, so viel Geld zu haben, dass es für ein solches Haus reichte. Ohne die Mumien und Reliquien hätte er das nie geschafft.«
    Crestina schüttelte sich.
    »Einmal wäre ich fast gestorben vor Angst, als er im Mezzanin gerade eine neue Ladung von Mumien untergebracht hatte, die er zum Verkauf anbieten wollte.«
    »Damit hat er ja wohl in der Hauptsache sein Geld gemacht«, sagte Leonardo. »Und deiner Mutter war es völlig egal, womit er diesen Palazzo bezahlte.«
    Crestina blätterte inzwischen in dem Buch, schüttelte dann den Kopf.
    »Ich habe schon so oft daran gedacht, wo sie wohl geblieben waren, unsere Bilder.«
    »Ja, Palazzi mitten in den Gemüsegärten der Giudecca, Palazzi in den ärmsten Teilen der Stadt, mitten zwischen halb zerstörten Häusern, wo es gewiss nie welche gab. Palazzi schwimmend wie Schiffe draußen auf dem Meer, Palazzi auf den winzigsten Inseln, die nie einen Namen hatten, Palazzi auf dem Mond, auf der Sonne, selbst auf irgendwelchen Kometen, auf denen sie durch das Weltall rasen konnten und die Welt beglücken mit ihrer Schönheit. Es gab kaum einen Ort, den wir nicht für würdig erachtet hätten, einen Palazzo zu besitzen«, sagte Leonardo lächelnd.
    »Und was ist das?«, fragte Crestina verblüfft, als sie zu einem Bild mit einer halb eingeschlagenen Seite kam.
    Leonardo lachte.
    »Das war einer, den du gemalt hattest. Bei dir reichte doch meist nie das Papier, und wir mussten den Rest des Hauses immer ankleben. Du warst ja der Meinung, dass je größer ein Palazzo sei, umso glücklicher seien die Menschen, die darin wohnen.«
    Crestina seufzte.
    »Das war die Zeit, in der ich als Kind alles glaubte, was man mir erzählte. In der ich mir eine Welt wünschte mit glücklichen Menschen und der Meinung war, man müsse nur ganz fest daran glauben, dann sei es auch schon so. Aber natürlich weiß ich inzwischen, dass das nicht stimmt.«
    Die nächste Seite zeigte einen Palast, der, kaum als solcher erkenntlich, halb unter dem Wasser verborgen schien.
    »Sieht aus wie die laguna morta, oder?«
    »Nein, das nicht. Es soll Malamocco sein. Du wolltest, dass diese schon vor langer Zeit untergegangene Insel nicht ohne Palast sein dürfe.«
    Sie saßen auf dieser Säule, blätterten in dem Buch, und irgendwann schien es Crestina, als habe sie den Anlass vergessen, weswegen sie an diesem Morgen hier auf ihr Inselchen gekommen war.
    »Du weißt noch, weshalb wir sie die ›blauen Paläste‹ genannt haben, die es ja schließlich gar nicht gab?«, fragte Leonardo nach einer Weile.
    Sie lachte.
    »Nicht mehr in allen Einzelheiten, erzähl du.«
    »Nun, es gab einen palazzo Cad'oro in unserer Stadt, einen goldenen Palast, aber für den interessiertest du dich nicht. Du wolltest einen blauen Palast, weil Blau deine Lieblingsfarbe war. Und weil du der Meinung warst, dass Paläste nur blau sein konnten, um wirklich märchenhaft zu wirken, malten wir sie eben blau. Ich glaube, es waren Jahre, in denen wir sie malten, wir betrieben dieses Spiel selbst dann noch weiter, als die palastlose Zeit für euch längst vorüber war und ihr nun selber einen besessen habt. Und das Verrückteste dabei war –«
    »Wir schenkten diese Paläste irgendwelchen Leuten«, unterbrach Crestina Leonardo eifrig. »Also nicht die Grimaldi, Mocenigo, Foscari sollten unsere blauen Paläste besitzen, nicht die Gritti, Loredan, Barbaro, sondern irgendwer aus dem Volk. Ein Drucker aus der Druckerei, ein Gondoliere, ein armer Student, eine Fischfrau, ein Lastenträger.«
    »Es war eine verrückte Idee, die von dir stammte«, sagte Leonardo, »aber wir, Riccardo und ich, fanden sie natürlich wunderbar, auch wenn wir beide vermutlich nie auf solch eine Idee gekommen wären. Aber wir fühlten uns wie Krösus, dass wir solche grandiosen Geschenke machen konnten und niemand wusste davon.«
    Crestina hielt das
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