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Staatsanwalt vermisst seinen Polizisten

Staatsanwalt vermisst seinen Polizisten

Titel: Staatsanwalt vermisst seinen Polizisten
Autoren: N. Schwalbe
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stiefelte an mir vorbei und lief zum Stall. Dort holte er einen Sattel und Zaumzeug und deutete mir, mich ebenfalls zu bedienen. Ich nahm einen der Westernsattel und ein Halfter mit Zügeln und trabte ihm hinterher. Am Weidezaun pfiff er einmal kurz durch die Zähne. Zwei Pferde, ein Schimmel und ein Rappe, kamen sofort angaloppiert und ließen sich streicheln. Während er leise auf sie einredete, sattelte er das weiße und nahm mir den Sattel ab, um den Rappen fertig zu machen. Fünf Minuten später saß ich hoch zu Ross und fühlte mich fast wie neugeboren, wenngleich auch etwas wacklig.
    Wir ritten einen langen Sandweg entlang und bogen dann ab in die Walachei. Immer wieder streiften meine Beine gegen Pflanzenblätter, doch das störte mich nicht. Ich war froh, dass ich mich einigermaßen auf dem großen Pferd halten konnte.
    „Machst keine schlechte Figur“, grinste John und musterte mich bewundernd. „Durchtrainiert bist du ja.“
    Gott, ich hatte die letzten Monate auch nichts anderes zu tun, als Abends ins Fitnessstudio zu gehen, um mich von der besitzergreifenden Maria abzulenken, die meinen Mann ganz für sich beanspruchte.
    „Wenn du noch etwas Zeit hast, würde ich dir die nächsten Tage gerne etwas von Australien zeigen. Es ist ein wundervolles Land. Eine Meile weiter östlich beginnt der Yengo National Park. Wir könnten, wenn du Lust hast, zum Hawkesbury River reiten und die Schönheiten der Natur bewundern.“
    „Gerne. Ich habe viel Zeit mitgebracht.“
    „Übrigens, Homosexualität ist mittlerweile auch bei uns akzeptiert. Es gibt zwar keine gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und die gleichgeschlechtliche Ehe ist hier seit 2004 verboten, aber Einzeladoptionen können auch homosexuelle Australier vornehmen, obwohl wir leider nicht ganz so fortschrittlich sind wie ihr Deutschen.“
    „Ich denke, die Ehe hat immer Vor- und Nachteile ...“, bemerkte ich trocken.
    John versah mich mit einem Seitenblick, dann gab er seinem Pferd die Sporen und ritt voraus. Der Fluss war wirklich gigantisch. Wir hielten an einer kleinen, verlassenen Bucht und ließen uns in den Sand plumpsen.
    „Gott, ist das schön hier!“, rief ich leise und warf ausgelassen den Sand in die Luft.
    John lachte. „Ja, und immer, wenn es mir schlecht geht, komme ich hierher und plötzlich sehen all meine Probleme gar nicht mehr so schlimm aus. Die Felsen, das Meer, die Natur, dies alles ist so gewaltig, so imposant, was bedeutet da schon ein klitzekleines Menschenleben. Bedenk nur, wie alt das alles hier ist ... Millionen von Jahren! Und wie alt sind wir? Wir haben die Größe dieses Steines.“ John hob ein Sandkörnchen auf und hielt es mir entgegen. Er hatte recht. Wir waren nur ein kleines Licht, ein Mikroteil des Ganzen.
    Ich streifte mir die Schuhe ab und zog meine Socken aus. Am liebsten wäre ich nackt baden gegangen, aber das wagte ich dann doch nicht.
    „Willst du baden gehen?“, feixte John.
    „Am liebsten würde ich das, ja. Aber ich glaube, im Fluss ist das keine so gute Idee.“
    „Wir könnten den Fluss weiter aufwärts reiten. An der Broken Bay trifft er auf den Ozean. Das Wasser ist zwar eisig, aber die Fluten sind herrlich.“
    „Na, dann los!“ Geschwind schlüpfte ich in meine Socken und Schuhe zurück und schwang mich auf meinen Rappen. Im Galopp rauschten wir am Flussufer entlang. Ich fühlte mich wie ein Schuljunge, der zum ersten Mal von zu Hause weg war und die Freiheit genießen durfte. All die Sorgen der letzten Monate schienen an mir vorbeizufliegen.
    Am Broken Bay banden wir die Pferde fest - offenbar waren wir nicht die einzigen Reiter hier, denn überall standen große Holzpflocks zum Anbinden der Pferde - und gingen ans Wasser.
    Wir zogen uns bis auf die Unterhose aus und sprangen in die Fluten. Wie die Kinder spritzten wir uns nass und tobten durch die Wellen. Diese lockere Art hätte ich John gar nicht zugetraut. In seinem Notariatsbüro hatte er so steif und förmlich ausgesehen, dass er mich jetzt umso mehr überraschte.
    Da wir keine Handtücher mitgenommen hatten, suchten wir uns einen windgeschützten Fleck Erde und legten uns in die Sonne.
    Ach, ich war ein neuer Mensch. All meine Sorgen waren weit weg.
       
    * * *
       
    Als wir zurückkamen, war der kleine Stevie bereits aufgewacht. Mit seinen großen Kulleraugen sah er mich abschätzend an. Gut oder böse? 
    Nachdem er sich fürs erstere entschieden zu haben schien, durfte ich mit ihm an der Hand zu den Schafen laufen.
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