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Spurlos in der Nacht

Spurlos in der Nacht

Titel: Spurlos in der Nacht
Autoren: Unni Lindell
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mit den verkniffenen, bleichen Lippen. Der helle Frühlingsmantel wies auf dem Rücken einen großen dunklen Blutfleck auf. Das Blut war weitergeströmt und bildete jetzt auf dem Asphalt eine kleine Lache. Die Frau hatte beim Fallen einen soliden Laufschuh verloren. Dem Fahnder fiel auf, dass ihre dicken braunen Strümpfe an der Ferse gestopft waren. Noch immer durchfuhr es ihn eiskalt beim Anblick des Todes. Er konnte sich auch noch Jahre später an einzelne ausdruckslose Totenmasken aus zurückliegenden Fällen erinnern. Er blieb stehen und musterte den Leichnam. Eine armselige alte Frau. Ihre Tasche lag einen Meter von ihr entfernt. Sie war nicht geöffnet.
    Roger Høibakk kam zu ihm herüber. Er nickte kurz.
    «Jetzt geht das wieder los», sagte er.
    Cato Isaksen nickte ebenfalls.
    «Wer ist sie?»
    «Brenda Elise Moen, fünfundsiebzig. Sie hat gleich hier in der Straße gewohnt, in Nummer 51.»
    Roger Høibakk zog seine Handschuhe besser zurecht. Er reichte Cato Isaksen einen Bibliotheksausweis.
    «Ihre Tasche kommt mir ganz unberührt vor. Das hier hab ich aus ihrer Brieftasche gefischt.»
    Cato Isaksen nahm den Ausweis entgegen, sah ihn aber nicht an.
    «Das war jedenfalls kein Handtaschenräuber.» Roger Høibakk nickte zu der schwarzen Tasche hinüber.
    Cato Isaksen dachte, das wäre ja wohl übertrieben gewesen, eine alte Dame zu erschießen, nur um ihre Brieftasche zu stehlen. Aber geschossen wurde in dieser Stadt nun wirklich oft genug. In der Regel waren es Banden aus den verschiedenen Zuwandererszenen, die aneinander gerieten. Auch Drogensüchtige, Türsteher und Frauen mit eifersüchtigem Ehemann oder Liebhaber standen ganz oben auf der Liste der Opfer solcher Schießereien. Aber nicht alte Damen mit soliden Schuhen und gestopften Strümpfen.
    Etwas an der Ermordeten kam ihm komisch vor. Wie sie so da lag, hilflos, auf dem Boden, mit den verschlissenen Strümpfen und den abgenutzten Schuhen, mit ihrem Frühjahrsmantel, der auch schon bessere Tage gesehen hatte. Etwas an ihr kam ihm erbärmlich vor. Und etwas stimmte nicht an der ganzen Situation.
    Die nächststehende Laterne schien durch einen Baum mit kahlen Zweigen. Eine Reihe von Mülltonnen wurde gewissenhaft von zwei Polizisten untersucht. Die Hundestreife war ebenfalls am Werk. Ein Schäferhund und ein Labrador bellten kurz und ungeduldig und zerrten an ihren Leinen. Drei Streifenwagen waren im Einsatz und deren Besatzungen sahen sich die nächste Umgebung an. Vor allem hielten sie Ausschau nach einigen jungen Skatern, die ungefähr zur Mordzeit in der Gegend gesehen worden waren.
    Ein Streifenwagen polterte in hohem Tempo über ein Geschwindigkeitshindernis und hielt hinter den Zuschauern. Ellen Grue von der Technik, gekleidet in Jeans und schwarze Lederjacke, und eine Kollegin stiegen aus. Der beißende Wind packte Ellens kurzen dunklen Schopf. Sie sah sich um, ehe sie auf die Straße trat und unter der Absperrung hindurch schlüpfte. Cato Isaksen ließ die kleine schlanke Frau nicht aus den Augen.
    Angeblich hatte Ellen Grue sich mit einen Anwalt zusammengetan. Einem bekannten. Er war fast sechzig. Ein eleganter Mann, mit großer Wohnung, gleich mehreren Ferienhäusern und viel Geld. Aber alt, dachte Cato Isaksen. Ihm war die Sache überaus unangenehm. Ellen war eine pflegeleichte Geliebte gewesen, pflegeleicht und doch schwierig. Sie verstanden einander. Hinterher gab es niemals irgendwelche Scherereien. Einmal hatte Ellen gesagt, sie habe das Gefühl ihn auszunutzen, nicht umgekehrt. Er hatte es fantastisch gefunden, das von einer Frau zu hören. Aber eben weil die Beziehung so leicht gewesen war, war er sich auch einige Male wie ein Betrüger vorgekommen. Ellen nervte nicht, hatte ihn vielleicht durchschaut. Oder sie brauchte ihn nicht zu durchschauen, weil sie ihn verstand. Aber jetzt verletzte es ihn doch, dass die Sache für sie nicht wichtiger gewesen war. 
     
    Sie nickte ihm kurz zu, streifte ihren Papieranzug über und zog ein Paar Plastiksocken aus einer Tasche.
    «Zieh du auch welche an», rief sie und warf ihm zwei blaue Socken zu. Dann zog sie sich eine hellgrüne Haube über die Haare.
    Cato Isaksen streifte die Plastiksocken über seine dicken Schuhe und rieb sich kurz das Gesicht. Plötzlich fühlte er sich ausgesprochen munter.
    Ein Journalist war dazu gekommen und rief Cato Isaksen etwas zu. Das Blitzlicht zerfetzte den dunklen Frühlingsabend mit seinem harten weißen Flackern. Der Kommissar fuhr gereizt herum und wollte
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