Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spuren in der Wüste

Spuren in der Wüste

Titel: Spuren in der Wüste
Autoren: Alexandra Cordes
Vom Netzwerk:
schnell.
    »Warum nicht?«
    »Wie lange bleiben Sie hier?«
    »Eine Woche etwa. Dann also, auf bald.«
    Und sie verabschiedete sich sehr höflich von Maria Holt.
    Aber Maria Holt sagte sofort, als sie allein waren: »Wernerchen,
    kiek richtig hin, Schönheit allein macht et nich, paß auf!«
    »Könntest du vielleicht deine Weisheiten für dich behalten,
    Mutt?«
    »Na sicher, Wernerchen, bin ja schon stille. Also, erzähle, wie war
    es in Hongkong?«
    Und er erzählte von Hongkong und der Grenze nach China; das
    5
    letzte Schild, das man sah, wenn man Hongkong per Bahn nach
    China verließ, warnte vor Taschendieben, das erste, das einen in
    China willkommen hieß, vor dem Auf-den-Boden-Spucken, was alle
    Chinesen mit großem Vergnügen tun.
    »Und warum hast du Inge heute wieder nicht mitgebracht?« frag-
    te seine Mutter unvermittelt.
    »Das ist meine Sache«, antwortete er ungewollt scharf.
    »Na ja«, murmelte Mutt, »hast ja recht, bist ja ein erwachsener
    Mann, der hoffentlich weiß, was er tut.«
    Vor drei Jahren hatte Werner seinen Eltern das kleine Haus im Gru-
    newald geschenkt.
    Es war nichts Aufwendiges, ein verwunschenes Nest, wie seine
    Mutter es nannte, efeuumrankt; früher einmal war es das Pförtner-
    haus einer großen Villa gewesen.
    Es war versteigert worden, weil die jungen Erben nichts damit an-
    zufangen wußten; Werner hatte, wie sein Vater stolz sagte, nur ei-
    nen Appel und ein Ei dafür gegeben.
    Es stimmte tatsächlich, wenn er bedachte, daß die monatliche
    Kreditabzahlung nur dreihundert Mark betrug, viel weniger, als
    man heute für eine normale Vier-Zimmer-Wohnung ausgeben muß-
    te.
    Sein Vater kam ihnen am Gartentor entgegen, wie immer in ei-
    nem farbbespritzten weißen Overall.
    Er war ein schlanker kleiner Mann von fünfundsiebzig Jahren, der
    sich aber wie ein Zwanzigjähriger bewegte.
    Als sie sich umarmten, mußte Werner sich zu ihm herunterbeu-
    gen, genau wie zu Mutt.
    »Hättest dich aber doch mal richtig anziehen können«, sagte
    Mutt und strafte ihren Mann mit dem blitzenden Blick aus ihren
    Vogelaugen.
    6
    »Da tät mich der Werner ja gar nicht mehr erkennen.« Erwin
    Holt lachte. Dann sagte er: »Komm, Jung, ich zeig' dir, was ich als
    letztes fabriziert habe.«
    Hinter dem Haus, am Ende des Gartens, in dem seine Frau Blu-
    men zog und er Gemüse, hatte Erwin Holt einen kleinen Schuppen
    errichtet – wenn man so wollte, ein Atelier.
    Hier machte der pensionierte Tischlermeister Kinderspielzeug aus
    Holz: Puppenstuben, Schaukelpferde, Wippen und Schaukeln für
    den Garten und vor allem Kasperlpuppen.
    Und nun führte Erwin Holt stolz sein neuestes Werk vor.
    »Mann, das sieht ja aus wie …« Werner zögerte verblüfft.
    »Na, wie die Insel, von der du mir erzählt hast, im Roten Meer,
    mit der Burg drauf.«
    »Aber ich hab' dir doch nicht mal ein Foto dagelassen, oder?«
    »Nee, aber erzählt hast du's mir ja. Und so haben die Kreuzritter
    ihre Festungen im Heiligen Land und anderswo gebaut, ich habe es
    nachgelesen.«
    »Klasse«, sagte Werner. »Mußt du's verkaufen?«
    »Nee«, sagte sein Vater, »du weißt doch, daß ich immer alles erst
    fertig mache, und dann erst such' ich mir einen Kunden dafür.« Ihm
    machte das Basteln Freude, also sollte das Spielzeug auch den Käu-
    fern Freude bereiten.
    Am liebsten war es Erwin Holt, wenn Leute mit Kindern kamen
    und er dann die staunenden Augen der Erwachsenen sah und darin
    lesen konnte, daß sie sich an ihre Jugend erinnerten, und wenn die
    Kinder beinahe ehrfürchtig über das Schaukelpferd oder die Pup-
    penstube strichen und flüsterten: »Alles echt, da ist ja nix aus Plastik.«
    Dann war er glücklich, dann verkaufte er. Und seine Preise waren
    Vorwirtschaftswunderpreise.
    Wenn aber Eltern kamen und Kinder, die sich nur gelangweilt
    umblickten und gar nicht erkannten, was sie da an Schätzen sahen,
    7
    dann behauptete Erwin stets: »Verkauft wird überhaupt nichts!«
    Für ihn gab es nie halbe Sachen und keine Lauheit der Gefühle.
    Für ihn gab es immer nur: Entweder – Oder.
    Und genau diese Eigenschaft hatte Werner von ihm geerbt.
    »Die Burg ist was zum Träumen«, sagte Erwin Holt. »Denk doch
    mal, aus unseren grauen kalten Landen sind sie aufgebrochen, die
    Kreuzritter. Weißt du, daß es sogar einen Kinderkreuzzug gegeben
    hat? Und dann kamen sie in ein Land, in dem die Sonne glühte.
    Und da in der Wüste bauten sie ihre Burgen, genau wie diese hier.
    – Nur das Burgfräulein fehlt noch, sonst ist sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher