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Splitternest

Titel: Splitternest
Autoren: Markolf Hoffmann
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ist fort … fort … und meine Igrydes sind tot … tot … meine Brüder … meine Schwestern … Fleisch von meinem Fleisch … Blut von meinem Blut …«
    »Schwachsinn von deinem Schwachsinn«, ergänzte Ungeld. Seine Augen suchten den Boden rings um den König ab. »Viel Spaß beim Suchen, Parzer. Ich bin schon einmal in den See Velubar gesprungen. Ein zweites Mal fische ich nicht im Trüben.«
    Parzer knirschte mit den Zähnen. »Wir müssen ihn aber finden! Wir können doch nicht ohne den Turmbinder nach Rhagis zurückkehren.« Er schüttelte Tarnac unsanft. »Wo hast du ihn versteckt?«
    Er bekam keine Antwort. Tarnacs war längst gefangen in seiner Umnachtung; ununterbrochen wisperte er die Namen der Gefallenen. Seine Blicke huschten umher. Er sah die Gesichter der toten Gyraner und Kathyger, sah die schwarz verfärbten Augen, die blutigen Lippen, den Ausdruck des Entsetzens auf ihren Mienen.
    »Alle … tot … sie alle … meine Schuld … Fleisch von meinem Fleisch … Blut von meinem Blut … beherrscht von meinem Willen … von meinem …«
    Seine Worte gingen in ein Schluchzen über.
    »Von dem werdet ihr nichts erfahren«, seufzte Schalim. »Der hat seine besten Jahre hinter sich. Ganz im Gegensatz zu mir.« Er rupfte sich das Blut von der Nase. »Vergesst den Turmbinder. Er bleibt zurück im Dreck. Vielleicht ist es besser so. Selbst wenn ihn in vielen Jahren jemand finden sollte, wird er nicht wissen, wozu er einst gut war.«
    Die betroffenen Gesichter der Fischer amüsierten ihn. Doch ein Blick auf das Schlachtfeld zerstreute auch seine Heiterkeit.
    »Was für ein Elend«, murmelte Schalim. »Diese Welt ist verloren.«
    Aber im Innern wusste er, dass die Menschen, die zu kennen er sich seit jeher rühmte, auch diesen Tag überstehen würden, und er, der Prasser, war bereit, seinen Teil für eine rosige Zukunft zu leisten.
    Sein Blick blieb auf dem abgeknickten Mast des Schiffs hängen, das vor ihnen im Schlamm lag. Der Schriftzug auf der Schiffswand war verwittert, das Holz durchweicht.
    »Dich kriegen wir schon wieder flott, Hotteposse«, versprach er. »Und auch der Rest wird sich fügen. So sind die Menschen.«
     
    Er sollte recht behalten.

 
KAPITEL 13
     
    Flöte
     
    Eine heitere Melodie hallte über den Gorjinischen Markt. Die Töne erklommen waghalsige Höhen, sanken in lauschige Täler ab, wechselten sich mit schmerzlichen Sentenzen, gipfelten in einem hellen Tirilieren. Ein Mann mit verfilztem Haar spielte auf seiner Flöte; sein Oberkörper wogte wie eine Weide, als zögen die Klänge ihn an einem unsichtbaren Faden nach. Er rollte mit den Augen und zwinkerte, tänzelte zwischen den Schatten der gläsernen Türme umher und folgte ihren schwachen Linien auf den Pflastersteinen.
    Einige Menschen blieben stehen und lauschten. Es waren nicht viele, die an diesem Morgen in Varas Straßen umhergingen. Noch immer versteckten sich die meisten Überlebenden in ihren Häusern. In der Nacht tauschten sie ängstlich Gerüchte aus … die Schatten würden zurückkehren, so wurde gemunkelt, um den letzten Bewohnern von Vara die Augen zu rauben; und die Goldéi stünden vor den Stadtmauern, um ihnen ein grausiges Ende zu bereiten.
    Andere waren mutiger. Seit die Geisterwesen verschwunden waren – zerrissen von Binhipars Hunden, verendet in einsamen Winkeln –, wollten sie sich nicht länger verstecken. Sie wagten sich auf die Straßen, auch wenn Vara ihnen fremd vorkam und die Verwandlung der Stadt nicht zu übersehen war. Die Sonne schien freundlich auf die gläsernen Türme von Vara, und seit langem war auf dem einen oder anderen Gesicht wieder ein Lächeln zu sehen.
    Um den Flötenspieler hatte sich eine Menschentraube gesammelt. Einige Leute wiegten den Kopf zu den Klängen, andere summten leise mit, wenn sie eine Tonfolge wieder erkannten.
    »Habt ihr schon gehört?« rief eine hagere Frau den Umherstehenden zu. »Die gläsernen Wälle am Stadtrand sind durchlässig geworden.«
    »Ist das wahr?« Ein älterer Mann mit kahlem Haupt wandte sich ihr zu. »Man kann die Stadt wieder verlassen?«
    »Nein, das nicht. Einige haben es versucht, aber sie kamen nicht weit. Als sie die Wälle durchschreiten wollten, litten sie schreckliche Schmerzen und mussten umkehren. Aber es gelangen Menschen in die Stadt hinein. Flüchtlinge!« Eifrig blickte die Frau umher, um sich der Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer zu versichern. »Die Goldéi schicken sie zu uns. Es herrscht nämlich Frieden dort draußen, müsst
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