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Spiegel E-Book - Nelson Mandela 1918-2013

Spiegel E-Book - Nelson Mandela 1918-2013

Titel: Spiegel E-Book - Nelson Mandela 1918-2013
Autoren: Jan Puhl (Vorwort)
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Tod erschüttert Afrika, sein Leben wird zu einer Legende - größer als der Mann selbst.
    Genadendal, die Residenz des südafrikanischen Präsidenten in Kapstadt. Der Herr des Hauses betrat den Salon. Ging er nicht ein bisschen gebückter? Sah er nicht älter, grauer aus? Wirkte er nicht erschöpft? Er trug, leger wie meistens, eine weiße Leinenhose, dazu eines seiner Ethno-Hemden, erdnussbraun mit schwarzen Ornamenten. Ein fester Druck einer großen Maurerhand, ein hinreißendes Lächeln. Dann saß er im Sessel unter einem Gemälde, das indische Frauen im zinnoberroten Sari zeigt: Nelson Mandela, Präsident des neuen Südafrika, bereit zum Interview.
    Wir hatten uns schon früher getroffen. Aber diesmal war ich zunächst so befangen, dass mir die erste Frage nicht gleich einfiel. Also fragte Mandela:
    „Wie alt war eigentlich Adenauer, als er Bundeskanzler wurde?“
    „Ich glaube, er war über 70.“
    „Aha.“
    Mandela war damals, im September 1995, 77 Jahre alt. Er suchte den Vergleich mit greisen Staatsmännern. Denn Skeptiker im Lande meinten, er sei zu alt für das kraftraubende Amt des Staatschefs.
    Er schaute versonnen durch die offene Flügeltür in den Garten, auf die Bougainvilleen, Frangipani und Flammenbäume, die in den prächtigsten Frühlingsfarben blühten. Eine seltsame Aura umgab diesen Menschen. Es war, als würde man ihn schon lange kennen, als wäre er einem nahe wie ein väterlicher Freund.
    Zugleich aber tat sich in diesem Kraftfeld eine ebenso merkwürdige Distanz auf, Mandela wirkte sternenfern und fremd. Ein Mythos, unwirklich, erstarrt zu einer Ikone der Geschichte.
    Nelson Rolihlahla Mandela, der erste schwarze Präsident Südafrikas, war in jenen Tagen auf dem Höhepunkt seiner Macht. Er wurde verehrt, ja vergöttert. Viele Landsleute nahmen ihn als Erlöser und Heilsbringer wahr, die Schwarzen, weil er sie aus der Knechtschaft in die Freiheit geführt hatte, die Weißen, weil er auf Rache verzichtete und ihnen die Hand zur Versöhnung reichte.
    Am Donnerstag vergangener Woche, kurz vor 21 Uhr Ortszeit, ist Nelson Mandela in seinem Haus im Johannesburger Viertel Houghton gestorben. Er wurde 95 Jahre alt.
    Am Morgen danach strömten die Menschen in die St.-George's-Kathedrale in Kapstadt. Jeden Freitag um sieben Uhr morgens findet hier die Frühmesse statt, normalerweise besuchen sie nur ein paar alte Leute. Doch diesmal war das Kirchenschiff voll, und den Gottesdienst zelebrierte der ehemalige Erzbischof Desmond Tutu persönlich.
    Die Gläubigen, Schwarze und Weiße bunt gemischt, repräsentierten einen Querschnitt der multiethnischen Regenbogennation, die sich Mandela immer erträumt hat. Sie beteten gemeinsam für ihren Ex-Präsidenten. Viele hatten Tränen in den Augen, als die Orgel die Nationalhymne spielte: Nkosi sikelel' iAfrika. Gott schütze Afrika.
    Die Südafrikaner hatten zwar täglich mit dem Tod Mandelas gerechnet, nachdem er im Sommer wochenlang im Krankenhaus gelegen und sich von einer schweren Lungenentzündung nie mehr richtig erholt hatte. Aber als sich die Nachricht von seinem endgültigen Abschied verbreitete, versank die Nation in Trauer.
    In den Postämtern, Banken, Behörden und Cafés der Kapstädter Innenstadt liefen ununterbrochen TV-Übertragungen, aus der ganzen Welt gingen Beileidsbekundungen ein, von Angela Merkel, Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon, Barack Obama. Der US-Präsident sagte: „Ich kann mir mein eigenes Leben ohne Mandelas Beispiel nicht vorstellen.“
    Die nationalen und internationalen Fernsehsender hatten sich seit Jahren auf den Tag X vorbereitet. Voraussichtlich werden an diesem Dienstag eine Milliarde Menschen rund um den Globus die Totenfeier verfolgen.
    Mandela hatte in seinem Kampf gegen die Apartheid die größte Menschenrechtsbewegung aller Zeiten ausgelöst, die weltweite Kampagne gegen die Apartheid. Er beendete die Kolonialära in Afrika, indem er der schwarzen Bevölkerungsmehrheit ihre Bürgerrechte gab und zugleich das Land einte. Er war eine Projektionsfigur, in der viele Menschen ihre universellen Ideale erkannten, die Gleichheit aller, die Utopie von der Weltfamilie.
    Der Freiheitskämpfer wurde als archetypische Heldengestalt wahrgenommen, die das Böse bezwingt, noch klarer, noch reiner als die wenigen anderen Heroen der jüngeren Geschichte, John F. Kennedy etwa oder Che Guevara. Anthony Sampson, einer seiner Biografen, vergleicht ihn mit Odysseus: Mandela verkörpere den „universalen Mythos vom Triumph des
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