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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie
Autoren: Zeruya Shalev
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wenn Talja hier wäre, würde sie endlich verstehen, wie belastend diese Zusammenstöße sind, wie leicht die Freiheit beschnitten wird, auch wenn nur vom Hosenwechseln die Rede ist und von sonst nichts.
    Ich muss mich umziehen, zische ich und gehe demonstrativ zum Schlafzimmer, aber seine Schritte folgen mir, begleiten mich durch den Flur wie der Kaffeeduft, bleiben vor dem Kleiderschrank stehen, sein Atem kommt näher, lass mich dir helfen, sagt er, bückt sich und versucht, mir die eng sitzende Hose auszuziehen, sein rasierter Schädel drückt sich an meinen Oberschenkel, seine Zunge versucht, die Kaffeetropfen abzulecken, sein Mund bläst Atem an meine Haut, und ich versuche seinem Griff zu entkommen, lass mich los, Amnon, was tust du da, und er flüstert, ich mache dich sauber, du willst doch sauber sein, oder nicht? Und ich verlange, Schluss, hör auf damit, du machst es uns beiden schwer, lass mich los, Amnon, zwischen uns ist es aus, es ist tot, tot für immer.
    Seine Glatze drückt sich zwischen meine Oberschenkel, als wäre er genau in diesem Moment gewaltsam da hervorgebrochen, für dich ist es vielleicht tot, aber bei mir lebt es, seine Stimme klettert an meinem Körper hoch, klebrig und feindlich wie eine giftige Raupe, warum gilt dein Willen mehr als meiner? Wer bist du überhaupt? Und ich sage, ich habe gedacht, wir hätten diese Gespräche abgeschlossen, ich habe gedacht, du hättest schon verstanden, dass du dich mir nicht aufdrängen kannst, und er zischt, sei still, ich fragedich nicht, was ich tun soll, so wie du mich nicht gefragt hast, was du mir antust.
    Lass mich in Ruhe, Amnon, ich versuche, seinen Kopf wegzuschieben, meine Hände gleiten über ihn, als wäre er in Folie verpackt, lass, ich muss mich anziehen, ich habe keine Zeit, meine Arme strecken sich zum Schrank, es gelingt ihnen, eine Hose herauszuzerren, aber meine Beine sind noch gefangen in seinen Armen, an seine Schultern gedrückt, an seinen dicken Nacken, aus dem sich sein Schildkrötenkopf schiebt, eine riesige Schildkröte hält mich gefangen, und ich schlage auf den harten Rückenschild, versuche, mich zu befreien, genug, Amnon, es reicht, ich will dich nicht, kapierst du das nicht, ich will dich nicht mehr. Vor meinen Augen, neben dem Fach, aus dem ich die Hose genommen habe, flimmern die leeren Fächer, es scheint, als habe der ganze Schrank seine Stabilität verloren und neige sich wie eine Waage, deren eine Schale geleert worden ist.
    Aber du bist meine Frau, wir sind verheiratet, murmelt er mit naiver Verwunderung, und überraschenderweise lockert er seinen Griff, und ich versuche einen schwerfälligen Sprung über seinen Rücken, mit gespreizten Beinen, rutsche über seinen Kopf wie früher in der Turnhalle über das Pferd.
    Zu meinem Erstaunen reagiert er nicht, er kniet immer noch da, den Kopf gesenkt, als kniete er vor einer Fantasiegestalt und flehe um ihr Erbarmen, auf seinem grauen Baumwollhemd zeigen sich Inseln bitteren Schweißes, lassen es an seiner Haut kleben. Ich starre sie wie hypnotisiert an, beobachte, wie sie plötzlich größer werden, nicht ich werde es sein, die dein Hemd wäscht, nicht ich werde es auf dem Bügel in die Sonne hängen, nicht ich werde es in den Schrank räumen, sein Platz wird nicht in diesem Schrank sein, und die Befreiung von der Verantwortung für dasSchicksal dieses Hemdes erfüllt mich plötzlich mit einer unerhörten Freude, als habe mich nur dieses Hemd all die Jahre vom Glück getrennt.
    Amnon, hör zu, ich richte meine Worte an seinen feuchten Rücken, du kannst mich nicht zwingen, bei dir zu bleiben, ich will so nicht mehr leben, wie oft habe ich versucht, mit dir zu reden, und du hast mir kaum zugehört, und auf einmal fällt es dir ein, jetzt, wo es zu spät ist, und als er nicht antwortet, wende ich mich von seinem Rücken ab, folge den Kaffeespuren bis zu Gilis Zimmer und setze mich erschöpft auf sein Bett. Dutzende trockener Knopfaugen schauen mich an, prüfen mich mit neugierigen, tadelnden Blicken, als wäre ich mit meinem glatten, felllosen Körper und den feuchten Augen hier unerwünscht, und statt zur Dusche zu eilen und die Tür hinter mir zu verriegeln, fange ich unwillkürlich an, sie so zu ordnen, wie er es mag, familienweise, Löwe, Löwin und Löwenjunges, Tiger, Tigerin und Tigerjunges, alle schmiegen sich Wange an Wange, Fell
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