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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie
Autoren: Zeruya Shalev
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hinterlässt ein unangenehmes Kitzeln, aber ich bin hier, ich habe dir Kaffee gebracht, er hält mir ein Papptablett mit zwei Bechern Kaffee hin.
    Das ist genau das, was ich dich fragen wollte, sage ich trocken, was tust du hier? Er greift, wie üblich, sofort an, ich verstehe dich nicht, Ella, du hast doch gesagt, ich sollherkommen, erinnerst du dich nicht, es ist kaum eine halbe Stunde her, und du hast es schon vergessen? Und ich streite es ab, was soll das, ich habe es eilig, ich habe nicht gesagt, dass du jetzt kommen sollst, du träumst, und die beiden Becher scheinen zu zittern vor Kränkung, als er sagt, du hast doch gesagt, wir reden nachher darüber, erinnerst du dich noch? Du hast mich eingeladen, zu kommen und mit dir zu reden.
    Amnon, wirklich, schreie ich ihn an, ich meinte einfach, dass wir irgendwann darüber reden, das war keine Verabredung, ich habe gleich einen Termin, ich habe jetzt keine Zeit für Gespräche, ungeduldig nehme ich ihm das Tablett aus den Händen, stelle es auf den Küchentisch, ein drohendes Rauschen begleitet meine Schritte, so werde ich aus deinen Händen den Scheidungsbrief entgegennehmen, ich werde mit gesenktem Kopf durch den Saal schreiten, feindliche Blicke werden mich begleiten, weiße Bärte werden über schwarzen Gewändern hängen, geschieden, geschieden, werden sie rufen, nicht mehr verehelicht, und du wirst dort stehen, wirst dich wie selbstverständlich zu meinen Feinden gesellen, und unter uns werden die Autos über die Hauptstraße rasen, sich aufeinander stürzen wie brünstige Tiere.
    Wann bist du verabredet, fragt er, kommt mit vorsichtigen Schritten auf mich zu, sein Blick flattert zur Wanduhr, die wir zur Hochzeit bekommen haben, so ist er zwischen den Tonscherben herumgelaufen, an jener vom vielen Staub grauen Ausgrabungsstätte, wo ich ihn zum ersten Mal sah, wir sollten bei jeder Bewegung so vorsichtig sein wie Ärzte, hat er immer wieder betont, denn die Vergangenheit, die hier vor uns liege, sei nicht weniger hilfsbedürftig als ein kranker Körper, und ich habe aus der Grabungsstätte hinaus zu ihm aufgeblickt wie ein Tier aus seiner Höhle und darum gebetet, dass er mich wahrnehmen möge.
    In einer Stunde, sage ich, betrachte besorgt seine müden Augen, die mich mit bläulicher Trauer anblicken, warum fragst du? Und er flüstert, dann haben wir doch noch genug Zeit, seine Lippen zittern nervös, die Knöpfe seines grauen Hemds springen fast von alleine auf, entblößen eine schwere gerötete Brust, und ich weiche vor ihm zurück, bis ich an den Küchentisch stoße, die noch immer heißen Kaffeebecher zerquetschen knirschend unter meinem Hintern, die duftende, schäumende Flüssigkeit läuft über den Tisch, nein, wir werden uns nicht gegenübersitzen und genüsslich Kaffee trinken, die Finger um die warmen Pappbecher gelegt, wir werden nicht über den verfrühten Herbst klagen, uns nicht entspannt an das erinnern, was in der Nacht geschehen ist, den Moment der Nähe wieder aufleben lassen, wenn wir uns an das Wunder erinnern, das zu vollbringen uns wieder gelungen ist, wir werden nicht mit nachsichtigem Vorwurf über den leichten Schlaf unseres Sohnes sprechen, wie oft er aufgewacht ist und wen er geweckt hat, wir werden uns nicht an dem Wort erfreuen, das er am Morgen gesagt hat, nicht an dem Traum, den er uns in allen Einzelheiten erzählt hat, wir werden uns nicht mit einem versöhnlichen Seufzer anschauen, bevor wir unseren Tag beginnen, ein Seufzer, in dem Unbehagen liegt, aber auch Gelassenheit, ein Seufzer, der sagt, da sind wir, trotz allem, Amnon und Ella, und so wird es morgen sein und übermorgen und im nächsten Herbst.
    Lass das jetzt, sagt er, ich mache nachher sauber, als wäre das noch immer seine Wohnung, mit allen Rechten und Pflichten, und ich reibe meine nass gewordene Hose, die duftende warme Flüssigkeit breitet sich juckend auf meinem Oberschenkel aus, doch noch schneller scheint sich der Zorn in mir auszubreiten, warum hast du Kaffee mitgebracht, schimpfe ich, warum bist du überhaupt gekommen,schau, was du angerichtet hast, es fällt mir schwer, seinen großen, schwerfälligen Körper direkt anzuschauen, seine Anwesenheit ist mir Hindernis und Störung, jetzt muss ich mich noch einmal waschen, nachdem ich mich schon gewaschen habe, ich muss mich noch einmal anziehen, nachdem ich mich schon angezogen habe,
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