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Soucy, Gaetan

Soucy, Gaetan

Titel: Soucy, Gaetan
Autoren: Trilogie der Vergebung 02 - Die Vergebung
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Epauletten, wie sie Marineoffiziere tragen, und eine dazugehörige Mütze, die der Damenwelt den Kopf verdrehte. Mit britischem Schnäuzer,sehr blond und sehr fein, der Pfeife im Mund, oder aber Zigaretten, die zu seinem Typ passten (dünn und lang), hatte er sich eine angelsächsische Gelassenheit mitsamt ihren sparsamen, präzisen Bewegungen angeeignet, die gerade der letzte Schrei im Kreise der unteren kanadischen Dienstgrade war.
    Ein wackerer Mann im übrigen, in den Dreißigern, von Sittlichkeit und militärischem Ansehen, zu großer Begeiste rung fähig. Er wusste um seinen Mut, ohne ihn zur Schau zu stellen, um seine ganz natürliche Rechtschaffenheit, so wie andere ein feines Gehör haben oder Plattfüße, und trachtete nicht danach, sich dies als Verdienst anrechnen zu lassen. Er akzeptierte stoisch seine Lage, in der ruhigen Gewissheit, dass es ganz undenkbar war, dass seine Stunde nicht eines Tages kommen würde in einer Welt, in der es genügte, seine Pflicht zu erfüllen, in der die Alliierten am Ende doch gesiegt hatten, und dass dieser dienstliche Einsatz in der abgelegensten Provinz nicht ewig würde dauern können.
    »Panne?« fragte er, als sie nahe genug waren, um nicht die Stimme heben zu müssen.
    Der Fahrer schüttelte den Schnee von seinen Schuhen:
    »Ab dem Tal kein Durchkommen mehr.«
    Louis hatte seinen Koffer abgestellt und sich mit dem Rücken gegen die Mauer gelehnt. Solange er in Bewegung gewesen war, hatte er nicht gespürt, wie müde er war. Jetzt befand sich sein Körper in einer Art Notzustand. Sein Herz schlug, als liefe es in seiner Brust auf und ab, Sterne blitzten am Rande seiner Augen auf wie winzige Explosionen. Er besah sich sein Spiegelbild in der Fensterscheibe, um das Ausmaß des Schadens festzustellen. Ersah seine geknickte Gestalt, sein feistes Gesicht mit den herabfallenden Wangen – die Hängebacken eines Bernhardiners, hätte Françoise, sie küssend, gesagt; die Augenringe gruben sich so tief in sein Gesicht, dass eine Dreißig-Sous-Münze darin Platz gefunden hätte. Er strich mechanisch eine Strähne seiner zu langen, schwarzen, öligen Haare hinter das Ohr. Seine Lippen waren blau und geschwollen wie die eines Ertrunkenen.
    Louis drehte sich um, niedergeschlagen, gar angeekelt von seinem Gesicht.
    »Kommen Sie«, sagte der Bahnhofsvorsteher zuvorkommend, »und wärmen Sie sich ein wenig auf! Und du«, wandte er sich an den Fahrer, »geh zu Großmama Beaulieu und hol den Suppenkessel.«
    Der Fahrer schnallte sich unverzüglich die Schneeschuhe wieder unter. Er ging in Richtung einer Hütte, die in der Ferne rötlich schimmerte.
    Der Bahnhofsvorsteher legte Louis die Hand auf die Schulter und ließ ihm den Vortritt.
    Die Wärme, die der Holzofen verbreitete, tat ihm nicht im mindesten wohl. Louis fühlte sich noch bedrückter. Er lockerte seinen Schal.
    »Wenn Sie sich setzen mögen, ich habe Tee gekocht.«
    Vier Sessel bildeten einen Halbkreis um ein Kaminfeuer. Diese Wärme war nicht so aggressiv wie die des Ofens, und als Louis sich ihr näherte, verspürte er endlich ein Wohlsein. Er setzte sich auf den vorderen Rand des Sessels, um dem sanften Feuer seine steifen Hände entgegenstrecken zu können.
    Der Offizier kam mit einer Teekanne zurück und stellte sie auf den Beistelltisch. Er hielt Louis eine Tasseaus Porzellan hin, deren Erlesenheit sich von der bäuerlichen Grobschlächtigkeit der Behausung absetzte.
    »Bitte sehr, Monsieur Bapaume. Verzeihen Sie, aber das ist ein seltsamer Name, Bapaume. Sie werden sicher oft ge beten, ihn zu wiederholen. Mir ist er jedoch durchaus geläufig. So heißt ein Ort in der Region Pas-de-Calais, ich war auch schon einmal dort, so wahr ich hier stehe.«
    Louis begnügte sich mit einem Nicken. Im allgemeinen, wenn man ihm nicht in aller Form eine Frage stellte, machte er den Mund nicht auf. Er gehörte zu jenen fantasiebegabten und talentreichen Menschen, die von den banalsten Anforderungen des Augenblicks in die Enge getrieben werden, Menschen, die man landläufig schüchtern nennt. Das Gebäude war kaum acht Quadratmeter groß. Im Schatten einer Treppe, die ins Dachgeschoss führte, stapelten sich streng geordnet Register auf einem Tresen, über dem ein schwarzes Brett hing, das mit Rechnungen, Verwaltungszetteln, gewissenhaft zusammengefalteten Landkarten vollgehängt war. Die Wanduhr am Mittelbalken des Hauses zeigte 17:20 Uhr an. Darunter einer jener Kalender, bei denen jeder Tag eine Seite davonträgt: 22.
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