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Sophie Scholl

Sophie Scholl

Titel: Sophie Scholl
Autoren: Barbara Beuys
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sie mit der Fotografie anwesend: »Ach, liebe Lina! Dein Bild freut uns so sehr, ich kann mich nicht satt sehen. … Du bist uns so nahe, auch in weiter Ferne. Wie siehst du uns doch so freundlich an. Alle Lieben sind im Bild versammelt auf dem Tischchen – das ist mein Sonntagsvergnügen.« Die Mutter, die ihrer Tochter am 29. August 1909 schreibt, verliert über so viel Freude nicht den Alltag aus dem Blick und fügt hinzu: »Unsere frühen Kartoffel sind auf die Hälfte verfault.« Zum Häuschen gehörte ein Garten, wo Sophie Müller sich mit großer Begeisterung um Blumen, Kartoffeln und Gemüse, Erdbeeren, Pflaumenbäume und das Birnenspalierobst an der Hauswand kümmerte. Und auf der hölzernen Veranda nahm das Gezwitscher der Vögel kein Ende, dem Sophie Müller fröhlich und der Melodie folgend eine menschliche Deutung unterlegte, zum Beispiel »Dir, dir, dir schick i dr Gerichtsvollziehr…«.
    Überhaupt hatte man in dieser Familie Sinn für Komik und Schabernack. Einmal schrieb die schon erwachsene, außer Haus lebende Elise an Verwandte in Künzelsau, sie werde am 1. April abends mit der Bahn zu Besuch kommen. Die Eltern wurden informiert, insgesamt standen acht Personen um 18 Uhr erwartungsvoll zur Begrüßung am Bahnhof, vergeblich. Wenige Tage später schreibt Sophie Müller ihrer Tochter augenzwinkernd: »Das war eine Enttäuschung. Wir haben einander ausgelacht, denn wer dachte an den ersten April. Du böses Mädchen, das musst Du büßen.«
    Die Mutter war eine große und schlanke Frau. Sie trat mit bescheidener Sicherheit auf. Sie pflegte und genoss die Kontakte zu Nachbarn, Freunden, Kindern und weiterer Verwandtschaft. Viele Jahre später, nach ihrem Tod, erinnerte sich Otto Ueberle, ein Künzelsauer Freund der Familie, der zwischen den Weltkriegen am Kaffee-Import aus Brasilien ein Vermögen verdiente, an Sophie Müller und nannte sie eine »selten gutmütige und brave Frau«. Im Sprachgebrauch der Zeit meint »brav« eine tüchtige Person, und »gutmütig« ist jemand, der anderen Menschen mit offenem Gemüt gegenübertritt.
    Es fällt auf, wie ungekünstelt Sophie Müller mit ihrer Tochter über ihre eigenen Gefühle spricht. Nachdem sie im August 1909 ihrer Freude über Linas Fotografie Ausdruck gegeben hat, fährt sie fort: »Liebe Lina, heute habe ich Dir viel geschrieben und könnte noch lange mit Dir sprechen. Deine Liebe ist mir soviel wert, und ich habe es auch so nötig, das gibt mir immer wieder Kraft. … Jetzt kann ich wieder arbeiten, und habe frohen Mut, alles andere will ich dem Herrn überlassen.« Da schreibt jemand, der keine Scheu hat, seine emotionalen Bedürfnisse preiszugeben, ohne deshalb sentimental zu werden.
    Lina Scholl (links) als Diakonisse
    Aber was ihr Leben vor allem prägt, ist der feste Glaube, aus dem Sophie Müller Trost und Halt gewinnt und den sie an ihre Kinder weitergibt. Sophie Müllers Gottvertrauen ist unerschütterlich. Aus dem Brief an Tochter Lina vom 30. Dezember 1911: »Großes hat der Herr an uns getan, dess sind wir fröhlich, bisher hat der Herr geholfen – er wird uns weiter helfen und uns gnädig sein, wenn wir unsre Hilfe bei Ihm suchen. Was das neue Jahr uns bringen wird, wissen wir nicht und wollen es auch nicht wissen, aber den lieben Gott um Kraft bitten, dass wir jeden Tag dankbar annehmen.« »Pietismus« steht auf der Schublade, in die der schwäbische Protestantismus seit dem 18. Jahrhundert gehört. Aber wer an Enge und Sündenangst denkt, an Gewissensskrupel und Sauertöpfigkeit, gewinnt durch die Schwäbin Sophie Müller ein anderes Bild. Ihre Briefe zeugen von einer tiefen Frömmigkeit, die einem fröhlichen, praktischen Glauben entspringt. Ihr Gott ist nicht eifernd, sondern menschenfreundlich.
    Den Abend beschloss Sophie Müller gern mit einem alten Kirchenlied, das bis ins Jahrhundert der Reformation zurückgeht: »Ach bleib bei uns, Herr Jesus Christ, weil es nun Abend worden ist; Dein göttlich Wort das helle Licht, lass ja bei uns auslöschen nicht.« Ebenso sprach sie ein Gebet, wenn am Mittag von der nahen katholischen Kirche Angelus geläutet wurde. Und zu denen, die von den ersten Erdbeeren ein Körbchen bekamen, gehörte eine jüdische Familie in Künzelsau.
    Fast überflüssig zu sagen, dass Sophie Müller täglich in der Bibel las und alle die schönen Lieder des Gesangbuchs fest im Gedächtnis hatte. Bilderreicher Stoff, der ihrem Schreibtalent zugute kam. Das Schreiben war ihr offensichtlich eine Lust und
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