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Sonst kommt dich der Jäger holen

Sonst kommt dich der Jäger holen

Titel: Sonst kommt dich der Jäger holen
Autoren: Michaela Seul
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wie der Blitz den Hügel hinauf.

86
    »Nicht schießen!«, brüllte ich, als die Beamten ihre Waffen zückten, weil das schwarze Ungeheuer auf uns zu galoppierte. Ich warf mich ihm in den Weg, er sprang an mir hoch, und wir kugelten durch das Laub.
    »Flipper! Flipper!«, rief ich ein ums andere Mal, und er wedelte, als wollte er gleich abheben und jaulte und grunzte, und ich schluchzte die Enge in meiner Brust weg. Einen Hund berühren. Meinen. Einzigen. Sein Herz spüren. Sein seidiges Fell. Der feste muskulöse Körper. Die kalte Schnauze, die warme Zunge, die weichen Lefzen. Auf die Flanken klopfen, nicht genug kriegen können.
    Flipper!
    Und den Bauch klopfen und die Brust und ihn umarmen, und da brachte er schon einen Stock an und schlug mir damit gegen den Arm.
    Lass uns zur Tagesordnung übergehen. Wirf!
    Und ich warf. Zweimal, dreimal, zehnmal. Was konnte es Schöneres geben, als zu werfen und immer weiter zu werfen bis zur Schleimbeutelentzündung, alles egal, Hauptsache Flipper.
    Da sah ich Felix. Mit gesenktem Kopf ging er am unteren Waldrand entlang. Niemand hielt mich auf, als ich die Abkürzung den Hügel hinab nahm und auf Felix zulief. Hatte er schon wieder jemand erschossen? Nein, mindestens zwei, wie ich in seinem Gesicht lesen konnte. Zwei Dutzend.
    »Da«, sagte ich und reichte ihm den Stock, den Flipper mir gerade gebracht hatte.
    »Danke«, sagte Felix.
    Flipper sprang zu ihm, überlegte kurz, drehte ab und suchte sich einen anderen Stock. Den da, das schien er zu spüren, brauchte Felix zum Festhalten.
    Felix riss die Augen auf. Was sollte das. Aber er schaute gar nicht mich an. Er schaute hinter mich. Ich drehte mich um. Und sah den Mann. Der Felix anstarrte. Erkennen im Blick. Und dann ging alles ganz schnell und gleichzeitig unendlich langsam. Der Mann mit der weißen Schürze, die viel zu lang für seine kleine Gestalt war, griff in seine Jackentasche, und im selben Moment sprang Felix los, stieß mich zu Boden, und dann knallte es. Sehr laut. Und nah.
    Das war ein Schuss. Da hat jemand geschossen, das dachte ich mehrere Male wie in Zeitlupe und sah den Mann mit der Waffe in der Hand. Er rannte weg. Erst nach einer Weile begriff ich, dass der Schuss aus der Waffe stammte, dass der Mann geschossen hatte. Dass Felix mich geschützt hatte. Mit seinem Körper. Leben.
    Er sprang auf die Füße, schaute zu mir runter.
    »Bist du okay?«, rief er schon im Vorwärtssturm.
    »Ja«, rief ich, ohne es zu wissen.
    Felix setzte dem Mann mit großen Sprüngen nach. War er denn verrückt! Im Rennen griff er sich an die Taille – wo war seine Waffe? Felix war unbewaffnet! Der kleine dicke Mann ruderte mehr, als dass er lief, seine Füße verfingen sich in der viel zu langen Schürze, so würde er kein Tempo machen, und das war ihm selbst auch klar, denn er drehte sich um, hob den Arm mit der Waffe, richtete sie auf Felix. Der hechtete in ein Gebüsch und von dort brüllte er: »Franza! Deckung!«
    Der kleine Mann strauchelte. Ich schätzte die Entfernung, und dann entsicherte ich meine Waffe.
    »Flipper! Pack ihn!«
    Flipper machte sich lang, er flog förmlich hinter dem Mann her, der sich aufgerappelt hatte. Ein Knall zerriss die Stille. Ich schloss die Augen. Ich wollte sie nie mehr öffnen. Ich wollte tot sein. Weil ich Flipper losgeschickt hatte. Der alles tun würde. Für mich. Der sein Leben für mich gegeben hätte. Wie Felix. Über mir. Als es erneut knallte, riss ich die Augen auf und sah Felix und den Dicken im Moos ringend, dann zog Felix seinen Gegner grob hoch, drehte ihm die Arme auf den Rücken. Flipper bellte begeistert.
    »Flipper! Hier!«
    Er kam angerast, setzte sich vor mich, seine Rute wetzte aufgeregt über den Boden.
    »Er ist okay!«, rief Felix zu mir.
    »Bist du okay?«, wurde nun von allen Seiten auf ihn zu gerufen. Von überall her strömten Beamte herbei.
    »Ich bin okay!«, ließ Felix seine Kollegen wissen.
    Okay war ab sofort mein Lieblingswort.
    Der mit dem Vollbart, den ich für ein hohes Tier hielt, brüllte Felix an. »Was ist hier los?«
    »Das ist der Boss«, erklärte Felix und nickte in die Richtung seines Gefangenen, der mittlerweile von zwei Uniformierten festgehalten wurde.
    »Ja, das ist mir bekannt. Der Boss vom Catering.«
    »Nein. Die Schürze trägt er erst, seit wir hier sind. Dieser Mann gehört definitiv nicht zum Cateringpersonal. Ich habe ihn vorhin gesehen. Meiner Einschätzung nach ist er eine große Nummer in der Organisation. Wenn nicht sogar der
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