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Sommertochter

Sommertochter

Titel: Sommertochter
Autoren: Seydlitz Lisa Maria
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»Wir schmeißen
zu Hause den Ofen an«, sagt er, »wir backen die Maroni und die Pilze machen wir
in der Pfanne, wir überraschen deine Mutter.«
    Die Tasche mit den Maroni und den Pilzen stellen wir auf einen Stuhl
in der Küche, wir setzen uns vor den Fernseher und vergessen sie. Als meine
Mutter kommt, schmiert sie für uns Butterbrote und stellt jedem ein Glas Milch
hin.
    Ein paar Tage später bringt mein Vater Wodka mit nach
Hause. Die Maroni und die Pilze in der Tasche sind bereits schimmlig geworden.
Er schmeißt erst den Inhalt und dann die ganze Tasche in die große Mülltonne
vor dem Haus.
    Als er wieder ins Haus kommt, hat er in einem Korb vier Glasflaschen
dabei. Ich kenne die Etiketten nicht, kenne die Flüssigkeit nicht, kenne nicht
den Geruch, nicht den Geschmack. Mein Vater zwinkert mir zu, er sagt, er wolle
dabei sein, wenn ich das erste Mal Alkohol trinke. »Wir brauchen Eiswürfel«,
sagt er und holt sie aus dem Eisfach. Er stellt Gläser auf den Tisch und füllt
sie mit Wodka, ich gebe die Eiswürfel dazu. Ich nehme einen Schluck und
verziehe den Mund, verziehe das Gesicht, es schmeckt mir nicht, aber mir
gefällt das warme Gefühl im Bauch, das Kribbeln, das in meinem Brustkorb
entsteht.
    Nur meiner Mutter, ihr gefällt nicht, was sie sieht in unserer
Küche, ihr gefallen die Flaschen auf dem Tisch nicht und das Glas in meiner
Hand. Und auch wenn sie still bleibt und kein Wort sagt, weiß ich, dass wir
etwas Verbotenes getan haben. Meine Mutter nimmt die Flaschen und schüttet den
Inhalt in die Spüle. Mein Vater bleibt sitzen und sieht ihr zu. Meine Mutter
sagt, sie mache das jetzt einmal und es werde auch das letzte Mal sein, sie
hält die Flaschen aus dem Fenster und wir hören das Geräusch von Glas auf Stein,
hören das Zersplittern, vier Mal.
    DER LEUCHTTURM STEHT ein
paar hundert Meter entfernt an einer Landzunge. Ich tauche und schwimme ihm
entgegen. Ich tauche nur auf, um kurz Luft zu holen.
    Julie war schon weg, als ich aufgewacht bin. Ihre Kaffeetasse mit
einem Rest von Milchschaum stand vor der Dusche auf dem Boden neben dem
Aschenbecher, ihr Kleid hing nicht mehr an der Leine vor dem Haus.
    Ãœber der Wasseroberfläche fliegt eine Libelle, ihr blau-grün
schimmernder Körper bleibt in der Luft stehen, ihr Flügelschlag ist nicht zu
sehen, als hinge sie am Faden eines Mobiles.
    Mein Vater und ich sind oft am Wasser. Sobald es warm
genug ist, packt meine Mutter uns eine Basttasche mit Handtüchern, Broten und
einer Flasche selbst gemachter Limonade. Die Schwimmsachen tragen wir schon
unter den Kleidern, mit dem Fahrrad sind es nur wenige Minuten zum Freibad, das
am Stadtrand liegt. Wir legen unsere Sachen in den Schatten, und während ich
mir noch das Kleid über den Kopf ziehe, läuft mein Vater schon zum Wasser,
macht einen Kopfsprung, sein Körper verschwindet im Becken. Ich gehe zur Treppe
am Beckenrand. Meine Füße berühren das Wasser, ich bekomme Gänsehaut am ganzen
Körper. »Spring«, ruft mein Vater, ich mache die Augen zu und springe, ich
schwimme in seine Richtung, aber ich bin zu langsam, er ist schon weiter
draußen, durchkämmt mit kräftigen Bewegungen das Wasser.
    Als ich erschöpft im Gras liege, mich mit dem Handtuch ein wenig
zudecke und in großen Schlucken die Limonade trinke, schwimmt mein Vater noch
immer, er krault quer durch das Becken, wie ein gefangenes Tier, das den immer
gleichen Weg gehen muss.
    Das Salzwasser hinterlässt einen feinen Film auf meiner
Haut, als trage ich eine weiße fleckige Hülle. Algen haben sich um meine Zehen
geschnürt, ich schüttele sie ab, als ich aus dem Meer komme und den Strand
entlanggehe. Ich schlinge die nassen Haare zusammen. Um mich herum sprechen die
Menschen deutsch, ich sauge Wortfetzen auf. Langsam füllt sich der Strand,
zuerst kommen die Alten, dann die Familien, sie alle erwarten einen guten Tag.
Sie schrauben Sonnenschirme in den Sand, cremen sich ein, setzen sich Stoffhüte
auf.
    Ich verlasse den Strand und laufe durch die Stadt. Auf dem
Marktplatz bleibe ich stehen, hole mein Handy aus dem Jutebeutel. Ich tippe die
Vorwahl für Deutschland, dann die Nummer meiner Mutter. Es läutet zwei Mal, bis
sie abnimmt. Im Hintergrund höre ich Anna.
    Â»Im Haus wohnt jemand«, sage ich. Meine Mutter wartet. Ich sage: »Im
Haus wohnt eine junge Frau, die Deutsch spricht.« Sie sagt immer noch
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