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Sommerliebe

Sommerliebe

Titel: Sommerliebe
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dem ich nicht einmal den Namen weiß. Du hast natürlich keine Ahnung, wer das sein könnte. Deshalb sage ich es Dir – der Mann im Mond.
    Weiß der Himmel, warum er mir in dieser Minute einfiel und nun gar nicht mehr aus dem Kopf will.
    Schnell zu etwas anderem: Was machen die mir von Dir versprochenen Bücher? Ich möchte so gern einmal etwas Nettes von Dir lesen (Du mußt es ja nicht gerade nachts schreiben). Über Dein Stück ›Wildwasser‹ konnte ich ja leider nichts Gutes sagen, weil es mir überhaupt nicht gefallen hat. Nicht, weil die Frauen darin so schlecht wegkommen – das kann für robuste Leserinnen bzw. Zuschauerinnen manchmal auch recht reizvoll sein –, sondern weil ich es einfach nicht für gut halte. Du solltest Dir gar nicht wünschen, daß man es aufführt, denn es würde bestimmt ein Durchfall. Das ist jedenfalls meine – ganz und gar nicht maßgebliche – Überzeugung. Hätte ich sie Dir vorenthalten sollen? Dann wäre ich nicht ehrlich gewesen.
    Von mir gibt es nicht viel Neues zu berichten. Ich muß hier sehr, sehr viel arbeiten. Totaler Krieg und Einsatz als Schreibkraft in einer chemischen Fabrik. Der ganze Tag ist eine einzige Hetzerei, und abends bin ich dann immer vollständig k.o. und kenne nur noch eine Sehnsucht – das Bett. Daß ich mein Studium abgebrochen habe, weißt Du. Die Gründe habe ich Dir auch geschrieben. Wozu ich mich nach dem Krieg entscheide, weiß ich immer noch nicht. Nach dem Krieg? Wann wird das sein? Erleben wir sein Ende?
    Schreibkraft in einer Fabrik. Dazu wurde ich dienstverpflichtet. Ich schlug vor, daß man mich als Sanitäterin in dem Betrieb einsetzen möge. Täglich geschehen Unfälle, bei denen Erste Hilfe benötigt wird. Nein, hieß es, eine Sanitäterin haben wir schon. Frag mich mal, was die Betreffende ihrer Vorbildung nach ist. Du wirst lachen – Sekretärin. Das ist die vielgerühmte deutsche Organisation – eine Sekretärin als Sanitäterin, eine Medizinstudentin als Schreibkraft.
    Abends bin ich immer, wie gesagt, fix und fertig, habe zu nichts mehr Lust, weder zum Dringendsten, wie z.B. Waschen oder Strümpfestopfen, noch zum Schreiben (Du spürtest es). Ich verkomme vollkommen hier, jedenfalls für meine Begriffe. Aber nun habe ich mich ja zusammengenommen und mich wenigstens mal wieder hingesetzt zu einem Brief. Freust Du Dich? Und wie ellenlang er nun schon geworden ist! Ich kann ja gar nicht mehr aufhören!
    In Berlin willst Du mich einmal besuchen, hast Du geschrieben. Das geht nun nicht mehr, Du mußt Dich hierher bemühen. Aber hast Du denn das auch wirklich ernsthaft vor? Wie viele Ansätze hast Du schon gemacht? Immer nur Ansätze … oder?
    Die Verbindung zu Inge, nach der Du mich gefragt hast, ist abgerissen. Dasselbe schreibst Du ja auch von Rolf. Das sind alles Dinge, die dieser entsetzliche Krieg zerstört. Wird er auch uns beide auseinanderbringen?
    Jetzt muß ich aber rasch Schluß machen, die Tränen kommen mir, meine Augen werden blind.
    Heinz, Geliebter … ich … Du …
    Ich muß aufhören.
    Mach's gut, bleib gesund … bleib bitte, bitte am Leben.
    Deine Ilse.«
    In dem Brief lag noch ein kleines Kuvert. Als Heinz es öffnete, entfiel ihm ein kleines Miniaturwappen mit dem Berliner Bären. Ein Zettelchen lag dabei, noch einmal ein Gruß von Ilse. »Ein winzig kleiner Talisman in dem riesengroßen Rußland. Und Gottes reichsten Segen über Dich. Ilse.«
    Da legte Heinz Bartel still, andächtig und mit brennendem Herzen den Brief zurück und starrte ins Leere.
    Ilse! Weihnachten! Christbaum! Neujahr! Talisman! Und zu dieser Zeit lag er schwer verwundet im Lazarett, und die Ärzte fürchteten, ihn aufgeben zu müssen. Jetzt war Sommer, die Früchte reiften an den Bäumen, aber die Erde stöhnte mehr denn je unter den Wunden, die man ihr riß, und weit, weit fort hatte ein Mädchen gewartet, immer nur gewartet und hatte den Glauben nicht verloren.
    Da setzte sich Heinz Bartel hin und beantwortete den Brief, der ein halbes Jahr alt war. Er begann ihn mit der Frage:
    »Meine Ilse … lebst Du noch?«
    Und in dieser Frage lagen die Hoffnung und der Wille, daß alles so werden möge, wie es ein gütiges Schicksal fügte.
    Aber das Schicksal war nicht gütig. Das Inferno des Krieges stampfte über Hoffnung und Wunsch hinweg.
    Ilse blieb verschollen …
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