Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sommerbuch

Sommerbuch

Titel: Sommerbuch
Autoren: Tove Jansson
Vom Netzwerk:
Enden fallen zu Boden, und der mit dem Angelhaken kriecht los. Sie können nicht wieder zusammenwachsen, denn sie sind sehr erregt, und daher denken sie auch nicht nach. Und sie wissen ja auch, daß jeder allmählich in seiner Richtung wieder wachsen wird. Meiner Meinung nach betrachten sie einander und finden sich nun so widerlich, daß sie, so schnell sie können, voneinander wegkriechen. Dann erst beginnen sie zu überlegen. Sie sehen ein, daß das Leben sich verändert hat, wissen aber nicht, wie und auf welche Weise .«
    Sophia legte sich im Bett auf den Rücken und dachte nach. Im Gästezimmer war es dämmerig geworden, die Großmutter stand auf und wollte die Lampe anzünden.
    »Nein laß«, sagte Sophia. »Du darfst nicht die Lampe anzünden. Nimm die Taschenlampe, hörst du. Ist — erleben« und — erfahren« dasselbe ?«
    »Es kommt darauf an«, antwortete die Großmutter.
    Sie legte die brennende Taschenlampe auf den Nachttisch und wartete.
    »Man möge sich vorstellen, daß alles, was sie danach erleben, um die Hälfte weniger ist, aber doch so, daß es auch eine Art von Erleichterung ist. Sie fühlen, daß keiner mehr an irgendwas schuld ist. Sie schieben die Schuld einfach nur aufeinander, sagen aber immer, nach so einer Sache sei man nicht mehr, wie man ursprünglich war. Da ist etwas, was die Sache noch verwickelter macht, und zwar, daß der Unterschied zwischen dem vorderen Teil und dem hinteren Teil so groß ist. Ein Wurm geht ja niemals rückwärts, und deswegen hat er auch nur an dem einen Ende den Kopf. Aber da der liebe Gott die Angelwürmer so gemacht hat, daß sie sich teilen und wieder in voller Größe auswachsen können, dann muß es sozusagen irgendeine heimliche Kraft geben, die in einem Wurm in das hintere Teil führt, was ihm dann denken hilft. Sonst kann der Wurm, wenn er allein ist, ja nicht durchkommen. Aber das hintere Teil hat ein sehr kleines Gehirn. Es erinnert sich vermutlich an seine andere Hälfte, die immer zuerst ging und alles bestimmte. Und jetzt«, sagte Sophia und richtete sich auf, »jetzt fragt das hintere Teil: >Nach welcher Seite soll ich denn wachsen? Soll ich einen neuen Schwanz bilden oder einen neuen Kopf? Soll ich dann über wichtige Dinge weiter entscheiden oder soll ich derjenige sein, der alles besser weiß, bis ich dann wieder entzweigehe ?< Das muß spannend sein! Es kann aber auch sein, daß die Angelwurmhälfte so daran gewöhnt ist, Schwanz zu sein, daß sie es läßt, wie es ist. Hast du alles aufgeschrieben, so wie ich gesagt habe ?«
    »Ganz genau«, sagte die Großmutter.
    »Jetzt kommt das Ende des Kapitels. Der vordere Teil findet aber vielleicht, daß es schön ist, nichts hinter sich herzuschleppen, aber wer weiß das schon, denn sicher ist das nicht. Nichts ist sicher, wenn man so beschaffen ist, daß man zu jeder Zeit in der Mitte entzweigehen kann. Wie immer man die Sache betrachtet, — man sollte überhaupt nicht angeln !«
    »Ach so«, sagte die Großmutter. »Die Abhandlung ist zu Ende, das Papier auch .«
    »Die ist keineswegs zu Ende«, sagte Sophia. »Jetzt kommt das zweite Kapitel, das denke ich mir aber morgen aus. Wie findest du es ?« — »Sehr überzeugend.«
    »Finde ich auch«, sagte Sophia. »Vielleicht lernen die Leute was von dem, was ich gesagt habe .«
    Am nächsten Abend fuhren sie fort, mit der Überschrift: »Und andere traurige Tierchen .«
    »Es ist schon schwierig mit kleinen Tieren. Ich wünschte, der liebe Gott hätte nie kleine Tiere geschaffen, oder aber daß er sie so gemacht hätte, daß sie sich wehren können. Er hätte ihnen auch richtige Gesichter geben sollen. Zwischenraum. Wenn man zum Beispiel an Nachtschmetterlinge denkt. Sie fliegen immerzu gegen die Lampe, verbrennen sich, und dann fliegen sie wieder hin. Das kann doch nicht Instinkt sein, denn der ist nicht so. Sie verstehen es nicht und sausen einfach los. Und dann liegen sie auf dem Rücken und zittern mit allen ihren Beinchen und sind schließlich tot. Hast du fertig geschrieben? Klingt das gut ?«
    »Sehr gut«, sagte die Großmutter.
    Sophia stand auf und rief: »So, schreib so: Ich hasse alles, was langsam sterben muß. Sag, ich hasse alles, was sich nicht helfen läßt. Hast du das alles richtig hingeschrieben ?«
    »Natürlich.«
    »Jetzt kommen die Schnaken. Ich denke viel an Schnaken. Man kann ihnen nie helfen, ohne daß nicht zwei Beinchen kaputtgehen. Nein, schreib drei. Warum können sie ihre Beine nicht einziehen? Schreib, kleine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher