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Solange du schläfst

Solange du schläfst

Titel: Solange du schläfst
Autoren: Antje Szillat
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weiteres Wort machte sie auf dem Absatz kehrt und ging davon.
    Ich starrte ihr hinterher. »Ich weiß«, sagte ich leise, mit einer plötzlich in mir aufkeimenden Gewissheit. »Ich weiß.«
    »Hallo«, begrüßte ich Jérôme, als ich kurze Zeit später das Krankenzimmer betrat. Ich versuchte, mich ganz schmal zu machen, während ich mich seitlich neben ihn aufs Bett schob und behutsam meinen Arm um ihn legte.
    »Ich hab dir neue Musik mitgebracht«, flüsterte ich ihm ins Ohr. Ich kam mit meinem Gesicht ganz nah an ihn heran undgab ihm einen Kuss auf die Wange. Dann blickte ich mich in dem neuen Zimmer um, in das Jérôme verlegt worden war. Es war heller und freundlicher als das auf der Intensivstation. Und hier waren wir auch ungestörter. Alles sah mit einem Mal viel positiver aus. Jérôme war auf dem Weg der Besserung und unter Umständen würde er sogar bald wieder aufwachen. Im Grunde war es jeden Moment möglich, dass er die Augen aufschlug und mich anblickte.
    »Was meinst du, soll ich es noch mal mit meinem Dornröschenkuss versuchen?«, sagte ich und betrachtete Jérômes Gesicht.
    »Okay, du kannst ja mal darüber nachdenken. Ich bin noch ein bisschen hier.« Ich lächelte und wickelte eine seiner Haarlocken um meinen Finger.
    »Auf dem Weg zum Krankenhaus habe ich Mathea getroffen. Erinnerst du dich an sie?« Seufzend erhob ich mich vom Bett und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen. »Mir ist jetzt klar, dass ich die ganze Zeit auf dem Holzweg war. Ich war mir so sicher, dass Konstantin dich so zugerichtet hat. Aber irgendwie habe ich in den letzten Tagen begriffen, dass das nicht stimmt. Auch wenn ich es anfangs nicht wahrhaben wollte. Da ist noch eine andere Stimme und ein Schatten, den ich nicht zuordnen kann. Mathea hat nicht gelogen. Konstantin ist tatsächlich weggerannt und nicht mehr zurückgekehrt. Aber wer war es dann? Wer ist der Schatten?« Ich blieb stehen und musterte Jérômes Gesicht.
    »Es kann nur einer seiner Freunde gewesen sein«, sagte ich schließlich. »Und ich finde so schnell wie möglich heraus, wer es war. Wenn’s sein muss, klappere ich jeden einzelnen von denen ab.« Ich ging zu Jérôme hinüber und legte meine Hand auf seine Wange.
    »Wenn du mir doch helfen könntest«, flüsterte ich. Dann beugte ich mich über ihn und küsste seine Stirn. Versuchte, all meine Kraft, all meine Energie in diesen Kuss zu legen.
    »Wach auf, Jérôme«, flüsterte ich eindringlich. »Bitte.«
    Aber da war nichts. Kein Zeichen. Keine Reaktion. Nur ein ausdrucksloses Gesicht mit geschlossenen Augen.
    Auf einmal spürte ich eine heiße, schmerzhafte Hoffnungslosigkeit in mir aufsteigen, die mir fast die Luft zum Atmen raubte. Von einem Moment auf den anderen war meine Zuversicht wie weggewischt. Ich umfasste Jérômes Hand und presste sie an mein Herz.
    »Spürst du das? Es schlägt nur für dich. Ich würde alles …« Ich konnte nicht weiterreden. Es tat zu weh.
    Ich strich Jérôme ein letztes Mal über die Wange und verließ das Zimmer.
    In meinen Ohren klangen Sabines Worte vom Vortag nach, während meine Absätze über den hellen Linoleumboden klackerten. »Sein Zustand hat sich verbessert. Dennoch kann keiner sagen, wann er wieder aufwacht. Ob er jemals wieder aufwacht …«
    Blind vor Tränen durchquerte ich die Eingangshalle, riss die Tür auf und stolperte hinaus. Ein paar Schritte vor der Tür stand eine ältere Frau und blickte mich besorgt an.
    »Geht es dir nicht gut?«, fragte sie.
    »Nein, alles in Ordnung«, murmelte ich.
    »Du bist ganz blass«, erwiderte die Frau und musterte mich skeptisch.
    »Alles okay, wirklich«, versicherte ich ihr und wollte schnell weitergehen, als ich Jérômes Onkel über den Parkplatz auf den Krankenhauseingang zueilen sah. Er hielt den Kopf tief gesenkt und lief an mir vorbei, ohne mich zu bemerken.
    Verwundert schaute ich ihm nach, dann wandte ich mich zum Gehen. Eine plötzliche Unruhe machte sich in mir breit. Ich atmete zitternd ein und aus. Hatte das Gefühl, dass der Boden unter meinen Füßen ganz weich und durchlässig wurde.
    Im nächsten Moment blitzte es.
    Nicht schon wieder!, dachte ich und schloss gequält die Augen.
    Es war schlimmer als sonst, ein gewaltiges Gewitter brach in meinem Kopf los.
    Mathea rannte durch die Dunkelheit. Hinter ihr das wutverzerrte Gesicht von Konstantin.
    Jérômes Stimme, die beruhigend auf Konstantin einredete.
    Dann Konstantin, der am Boden lag.
Scheiße!
, fluchte er immer wieder – er heulte.
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