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Söhne der Erde 20 - Durch die Hölle

Söhne der Erde 20 - Durch die Hölle

Titel: Söhne der Erde 20 - Durch die Hölle
Autoren: Susanne U. Wiemer
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blieb sie stehen und blickte den Mann in der schwarzen Uniform an. Coradi ließ die Hände sinken, mit denen er mechanisch seine pochenden Schläfen massierte.
    Er hatte das Mädchen schon öfter gesehen. Für seine Begriffe war sie fast noch ein Kind: hochaufgeschossen und viel zu mager, mit langem, glatten Haar von undefinierbarem Blond und einem schmalen Gesicht, das von grauen Augen beherrscht wurde. Mitleidige Augen! Sie hatte Wasser geholt, jetzt machte sie eine Geste mit der gefüllten Lederhaut.
    »Geht es Ihnen nicht gut? Möchten Sie einen Schluck trinken?«
    »Ja, gern. Danke.« Coradi fühlte sich wirklich nicht gut. Er hätte Tabletten gegen die Kopfschmerzen gebraucht, aber das kostete eine umständliche Prozedur, da die Wachtposten verständlicherweise keinen der Marsianer ohne Begleitung an die »Solaris« heranließen. Der ehemalige Kommandant des Schiffes war ohnehin ziemlich sicher, daß er kaum einen unbeobachteten Schritt tat, obwohl er sich scheinbar frei im Lager bewegen konnte. Die Blicke, die er ständig zu spüren glaubte, strapazierten seine Nerven und weckten bisweilen eine verbissene Wut, die er nie vorher gekannt hatte.
    Dankbar nahm er den Lederbecher mit dem kühlen, für seine Zunge eigentümlich herb aromatisch schmeckenden Wasser entgegen. Das Mädchen beobachtete ihn und lächelte.
    »Sie können nicht schlafen, nicht wahr?«
    »Kopfschmerzen.« Coradi verzog das Gesicht. Er begriff nicht, wieso ihm die Anteilnahme dieses unscheinbaren kleinen Mädchens gut tat, aber es war so.
    »Brauchen Sie etwas?« wollte es wissen. »Ich meine - weil Sie sich hier nicht auskennen und vielleicht nicht immer jemand fragen möchten - wegen jeder Kleinigkeit.«
    Ihre Stimme klang unsicher. Sie hatte recht: Es war ihm verhaßt, ständig jemanden um die einfachsten Dinge bitten zu müssen. Zuerst hatte er darin die Absicht vermutet, ihn und die anderen Gefangenen zu demütigen. Inzwischen wußte er, daß etwas viel Einfacheres dahintersteckte. Drogen gegen Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit und ähnliche Lappalien, Entspannung unter dem Relax-Helm, elektrischer Strom für Rasierapparate, Zahnbürsten und ein Dutzend anderer Geräte - das alles kam im Alltag der Barbaren einfach nicht vor, und sie hatten anderes zu tun, als sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
    »In der »Solaris« hängt neben jedem Transportschacht ein kleiner roter Medikamenten-Automat«, sagte Coradi langsam. Seine Schläfen pochten immer noch, aber jetzt war es nicht mehr nur der Schmerz, sondern eine ganz bestimmte Gedankenverbindung. »Man braucht lediglich auf den mittleren Knopf zu drücken und bekommt zwei eingesiegelte Pillen.« Er zuckte die Achseln. »Ich hatte in letzter Zeit einen recht regen Verbrauch, fürchte ich. Ihre Freunde werden allmählich denken, daß ich eine Gelegenheit suche, in dem Schiff irgend etwas anzustellen.«
    »Von mir werden sie das nicht denken. Warten Sie hier?«
    Coradi nickte.
    Leichtfüßig lief das Mädchen davon. Der Marsianer sah ihr nach und versuchte, trotz der hämmernden Kopfschmerzen schnell und gründlich zu überlegen.
    Warum tat sie das für ihn?
    Warum dieses Mitgefühl, da er hier schließlich besser behandelt wurde, als er es je erwartet hatte? In seiner gewohnten Umwelt kam es nicht vor, daß sich jemand ganz selbstverständlich Gedanken darüber machte, wie einem anderen Menschen zumute sein mochte, daß er auf ihn zuging, wenn er ihn allein und offensichtlich niedergeschlagen in der Dunkelheit stehen sah. Ein völlig fremdes Verhaltensmuster, das Coradi nicht verstand - und in dem er doch instinktiv eine Chance erkannte.
    Es dauerte nur wenige Minuten, bis das Mädchen zurückkam.
    Sie hatte - vielleicht von ein paar Fragen abgesehen - die »Solaris« tatsächlich ungehindert betreten können. Coradi spülte die Tabletten mit einem weiteren Schluck Wasser hinunter und lächelte dankbar.
    »Wie heißen Sie?« fragte er.
    »Irnet.«
    »Ist das ein Vorname?«
    »Ja. - Und Sie?«
    »John.«
    »Geht es Ihnen jetzt besser?«
    Er nickte. Das Mädchen nahm die Wasserhaut wieder an sich, lächelte ihm noch einmal zu und verschwand in der Dunkelheit.
    John Coradi lehnte sich mit geschlossenen Augen gegen den Felsen zurück und begann, seine Pläne zu spinnen.
    *
    Sekunden verstrichen.
    Irgendwo platschten gleichmäßig Wassertropfen - das einzige Geräusch außer dem Huschen der Ratten. Die Katzenfrauen verharrten stumm jenseits der Tür, die sich so unvermutet geöffnet hatte.
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