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Skorpione im eigenen Saft

Skorpione im eigenen Saft

Titel: Skorpione im eigenen Saft
Autoren: Juan Bas
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einer Art Karnevalsumzug bärtiger Dickbäuche ausweichen mussten, die mit bilbao-blauen Kitteln bekleidet waren und einen Karren mit einem Käfig zogen, in dem ein riesengroßes lebendes Schwein steckte. Begleitet wurden sie von einer lärmenden Blaskapelle mit Pauken und Tröten und zwei Betrunkenen im Endstadium, die sich an ein Weinfass auf Rädern klammerten.
    Josemi, dem die Traditionen der Stadt vertraut waren, erklärte uns, dass dieses beschämende Schauspiel auf das Jahr 1831 zurückging. Die Sau, ein Monster von mehreren Zentnern, das bis zur Grenze des Zulässigen gemästet worden und wahrscheinlich genmanipuliert war, stellt den Heiligen Antonius dar. Das Volkslied besagte: »Der Heilige Sebastian war Franzos’, und Pilger der Heilige Rochus, und die Sau lag zu Füßen des Heiligen Antonius.« Seit damals wird jeden Winter ein Schwein an das Volk verlost.
    »Was soll man von einem Volk erwarten, das mit einem Schwein paradiert?«, stellte Julito Currutaca mit lauter Bestimmtheit und dem außerordentlichen Pech fest, von einer Bewunderin des Spektakels, die von Umfang und Visage dem armen Tier ähnelte, gehört zu werden. Beinahe hätte sie ihm eine runtergehauen, während sie ihn einen »Fettsack, blöden Lackaffen und scheiß Zentralisten« zieh.
    Nachdem wir um den mittelalterlichen Umzug einen Bogen gemacht und den drohenden Prügeln der aufgebrachten abertzale ausgewichen waren, erreichten wir schließlich die gesuchte Bar, die sich in derselben Gasse befand.
    Ein windschiefes Schild über dem Eingang, der aus einer groben Holztür und schmutzigen doppelflügeligen Scheiben bestand und von einer Zeichnung an der Wand flankiert wurde, auf der mitten im Schwarzen einer Zielscheibe stand, Richter Garzón sei ein Arschloch, und einer zweiten – mit unfreiwilligen phantastischen Anklängen –, auf der versichert wurde, dass der Geist von Ermua ein Mörder sei; dazwischen der Name des Lokals:
    BAR ANTONTXU.
    Auf den ersten Blick eine gewöhnliche Kneipe wie viele andere hier, schmuddelig und hässlich; mit einer recht bunt gemischten, allerdings ziemlich abgerissenen Klientel, die mit vollen Backen an ihren Spießen kaute.
    »Und was soll das Besondere an diesem Schuppen sein, Julito?«, wollte ich von unserem Führer wissen.
    Wortlos wies Julito auf ein wackeliges Schild, wohl die Tageskarte des Lokals, die mit einem von diesen Filzstiften beschrieben war, deren Schrift man mit der Pranke wegwischen konnte. Es waren nur ein paar wenige Tapas aufgelistet. Kaum dass ich zu lesen begonnen hatte, wollte ich meinen Augen nicht trauen.
    Es gab lediglich sechs Häppchen im Angebot, aber das hörte sich so an:
     
    Austern in Gelatine mit Zitronencreme und Camparisorbet
    Jakobsmuscheln in Sauce von geräuchertem Speck
    Schweinsohr, eingelegt in Foie
    Geschichtete Kartoffeltortilla
    Stockfischfilet in Olivenöl extra vergine
    Ausgelöster Wachtelschenkel im Blätterteigbett
     
    Sechs Juwelen von Zuberoa, Arzak und aus dem El Bulli und dem Zortziko, für mich die Meisterköche überhaupt, und das in dieser schäbigen Spelunke! Meine Geschmacksnerven eines ausgewiesenen Gourmets freuten sich wie ein Infant mit hübschen weißen Schuhen über eine Schlammpfütze. Doch Vorsicht; wie sagte es Harvey Keitel in Pulp Fiction?: »Fangen wir noch nicht damit an, uns gegenseitig die Eier zu schaukeln.« Wie oft schon war ich auf viel versprechende Ankündigungen gestoßen, die sich in der Praxis als liebloses und willkürliches Potpourri von Geschmacksnoten aus zweitklassigen Grundnahrungsmitteln herausstellten.
    Ich begriff jetzt, weshalb auf dem Tresen nicht eins von diesen kulinarischen Wunderdingern ausgestellt war. Es war die authentische kreative Küche, bei der an verborgenen Feuerstellen alles frisch zubereitet wurde. Alle Häppchen, auch wenn man sie eigentlich nicht so nennen sollte, waren genau das: Minikunstwerke der allerfeinsten Küche. Man bestellte sie am Tresen bei einem grobschlächtigen Pärchen mit primitivem Ausdruck und zwillingshaftem Aussehen – anfänglich hielt ich sie für Brüder, später erfuhr ich, dass es sich um ein Ehepaar handelte, das aufgrund von tausenden gemeinsam im Haus und bei der Arbeit verbrachten Stunden und geschmort im Saft der alltäglichen Ehehölle eine physiognomische Symbiose eingegangen war. Die Häppchen kamen direkt aus der Küche, wurden an einem Fensterchen entgegengenommen und der gierigen Kundschaft serviert.
    Der Rohstoff war von erstklassiger Qualität und die
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