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Sklaverei

Sklaverei

Titel: Sklaverei
Autoren: Lydia Cacho
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Komplexität auszuleuchten.
    Meine Recherchen in aller Welt haben mir einen völlig neuen Blick auf die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Verbrecherorganisationen eröffnet. Die Straflosigkeit, mit der sie ihren Geschäften nachgehen, ist nicht nur beängstigend, sondern hochgradig verdächtig, zumal die mächtigsten Nationen der Erde den Kampf gegen den Menschenhandel weit oben auf ihre Agenda der nationalen und internationalen Sicherheit gesetzt haben. Warum besteht dann aber nach wie vor ein derartiger Widerspruch zwischen der Einwanderungspolitik und den Handelsverträgen? Wie kam es zur Feminisierung der Migration? Wie viele Länder dulden die Ausbeutung ihrer eigenen Bürger unter dem Vorwand der wirtschaftlichen Entwicklung? Warum gibt es in den wohlhabenden Ländern nach wie vor keine Transparenz bei der Behandlung von Einwanderern aus armen Ländern? Wie funktionieren die Fabriken, in denen die illegalen Einwanderer arbeiten, und wie einigen sich die Unternehmer und der Staat darauf, in welchen Bereichen die Ausbeutung geduldet wird?
    Die Tatsache, dass ich eine Frau bin, machte mir die Recherche nicht unbedingt leichter. Im Gegenteil, mein Geschlecht stellte oft eine zusätzliche Hürde dar. Obwohl ich vier Sprachen spreche, musste ich Übersetzern und einheimischen Mittelsmännern vertrauen, die jeden Winkel ihrer Stadt und die Spielregeln der einheimischen Verbrechersyndikate kannten. Journalisten von internationalen Tageszeitungen, ausschließlich Männer, empfahlen mir Fahrer, Informanten und Führer. Obwohl viele meiner männlichen Kollegen den Frauenhandel als Teil der Korruption und des organisierten Verbrechens wahrnahmen, hatte sich keiner im Detail mit dem Thema beschäftigt. Ohne Verdacht zu erregen, konnten sie die Bordelle und Karaokebars betreten, die in Dutzenden Ländern die Schauplätze der Zwangsprostitution sind. Ihr Geschlecht ist ihre Eintrittskarte zu den Orten des Verbrechens.
    In Kambodscha, Thailand, Birma und Zentralasien musste ich verschiedene Strategien anwenden, um mich nicht in Gefahr zu bringen. Dabei musste ich allerdings auch immer wieder Rückschläge hinnehmen, etwa als ich in Kambodscha aus einem Casino der chinesischen Triaden flüchten musste, in dem Mädchen im Alter von zehn Jahren und jünger verkauft wurden.
    Überall lauerten Gefahren. In allen Touristenstädten der Welt arbeiten Taxifahrer und Hotelportiers, die sexuelle Dienstleistungen vermitteln und den Netzwerken der Menschenhändler angehören. Ich konnte mir daher nie sicher sein, ob ich nicht verraten werden würde. Ich lebte mit dem ständigen Risiko, dass jemand, der mich durch die Straßen von Colombo, Miami oder Havanna begleitete, die örtlichen Banden darüber informierte, dass eine Journalistin diese und jene Erkundigungen anstellte oder Stadtteile besuchen wollte, in denen Zuhälter und Zwangsprostituierte leben.
    Meine Angst zwang mich einerseits zur Vorsicht, doch sie veranlasste mich andererseits auch, meine Informanten sehr sorgfältig auszuwählen, und vermittelte mir ein Gefühl der Dringlichkeit. Vor allem aber ließ sie mich besser nachvollziehen, welchen Gefahren sich die Opfer aussetzten, die den Mut hatten, mir ihre Geschichten zu erzählen, und erinnerte mich eindringlich daran, wie gefährlich es ist, als Frau in einer vollkommen von Männern beherrschten Gesellschaft zu leben.
    Ich sprach mit Überlebenden und Experten, aber ich musste auch an die Angehörigen der Verbrechernetzwerke herankommen – und vor allem lebend wieder entkommen. Mein großes Vorbild war der deutsche Investigativjournalist Günter Wallraff, Autor des Buchs
Ganz unten
, den ich vor einigen Jahren in Mexiko kennengelernt habe. Bei meiner Reise durch Zentralasien verkleidete ich mich und nahm verschiedene Identitäten an. Auf diese Weise gelang es mir, in Kambodscha mit einer philippinischen Menschenhändlerin eine Tasse Kaffee zu trinken; in Mexiko in einer Bar mit kubanischen, brasilianischen und kolumbianischen Hostessen zu tanzen; in Tokio ein Jugendbordell zu besuchen, dessen Besucher aussahen, als wären sie einem Manga-Comic entsprungen; oder als Nonne verkleidet durch La Merced zu gehen, einen der gefährlichsten Stadtteile von Mexiko-Stadt, der von mächtigen Verbrechersyndikaten beherrscht wird.
    Beim Sklavenhandel geht es immer um wirtschaftliche Macht, doch der Handel mit Sexsklaven hat noch eine zusätzliche Dimension. Er schafft nämlich eine Kultur, in der die Sklaverei
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