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Skandal um Lady Amelie

Skandal um Lady Amelie

Titel: Skandal um Lady Amelie
Autoren: Juliet Landon
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ihren Eltern eine beträchtliche Summe geerbt hatte, mehr als ihr gutes Auskommen hatte. Ob nun das Zusammenspiel von Trauer, Reichtum und Kinderlosigkeit sie dazu veranlasste, sich Waisen, Obdachloser und Verschuldeter anzunehmen, hatte sie nie zu ergründen versucht; eins stand jedoch fest: Armen, elenden, glücklosen Menschen helfen zu können, versöhnte sie mit ihrer Witwenschaft.
    In Buxton waren ihr als Witwe des reichen, wohlbekannten Sir Josiah kaum Hindernisse in den Weg gelegt worden, wenn sie Familien auslöste, denen wegen Verschuldung Gefängnis oder gar Schlimmeres drohte, oder Menschen Arbeit beschaffte, die wegen eines geringen Deliktes wie etwa Mundraub ins Arbeitshaus sollten. Sie bot obdachlosen Schwangeren Unterkunft und Hilfe, teils im eigenen Haushalt, und verschaffte ihnen nach der Geburt des Kindes geeignete Stellungen; sie überredete Pächterfrauen, hungernde Waisen aufzunehmen, und wendete dem örtlichen Armenhaus zur Besserung der Zustände beträchtliche Summen zu. All dies minderte ihr Vermögen kaum, steigerte ihr Wohlbefinden und ihr Selbstwertgefühl jedoch beträchtlich, und niemand stellte sich quer, solange sie nur der Gemeinde tatkräftige und finanzielle Hilfe gewährte.
    Anders begegnete man ihr in der vornehmen Gesellschaft Londons. Nichts konnte die Damen vom Tratschen abhalten. Amelie war eine junge, reiche, schöne Witwe, der ihr ebenfalls verwitweter Schwager zu viel Aufmerksamkeit schenkte. Von Liebhabern war die Rede, von Rivalitäten unter den Herren. Der Ruch von Skandal lag in der Luft, sodass sie es an der Zeit fand, fortzuziehen.
    Sie hatte Richmond gewählt, weil sie in der Nähe der Hauptstadt leben wollte, doch musste sie feststellen, dass der Name Sir Josiah Chester ihr keine Türen öffnete, und so musste sie, wo sie in Buxton so offen hatte helfen können, hier andere, heimliche Wege einschlagen, musste sich anonym betätigen, musste bestechen und täuschen oder gar das Geschick eines ihrer Diener einsetzen, Schlösser zu knacken. Unnötig zu erwähnen, dass sie mehr Bedienstete – und viele ohne Referenzen – besaß, als sie Beschäftigung bieten konnte.
    Am vergangenen Abend war sie auf eine ältere obdachlose Frau gestoßen, deren hochschwangere Tochter ins Arbeitshaus gebracht werden sollte. Amelie hatte sofort Hilfe versprochen und war nun fest entschlossen, noch am heutigen Abend entsprechende Schritte zu unternehmen. Das Letzte, was sie dabei brauchen konnte, waren von diesem Lord Elyot bestellte zusätzliche Wachen. Welcher Teufel hatte sie bei Rundell’s nur verführt, mit diesem Laffen zu sprechen und ihm ihren Namen zu verraten?
    Wieder klang ihr der hochmütig-gelangweilte, perfekt akzentuierte Tonfall des Mannes im Ohr, und sie erinnerte sich daran, wie es sie durchzuckt hatte, als er ihren Blick sanft, doch mit verheerender Selbstsicherheit festhielt. Er hatte sie nicht, wie so viele Gentlemen sonst, mit unverschämter Vertraulichkeit gemustert. Nein, es war ein sprechender Blick, verheißungsvoll und auf Erwiderung hoffend.
    Nun, mein feiner Herr, dachte sie zähneknirschend, dazu wird es nicht kommen. Ich werde mich sorgsam von Ihnen fernhalten, wie von jeder Familie, die Mildtätigkeit für Zeitverschwendung hält. Hassenswerte, arrogante Menschen!
    Welche Farbe hatten seine Augen?
    Rasch rief sie sich zur Ordnung und zog gegen die plötzliche Kälte fröstelnd ihren Kaschmirschal enger um die Schultern.
    Nach einem sowieso schon verspäteten Dinner, nach endlosem Auspacken all der Einkäufe und nach langatmigen Auslassungen über das perfekt geschlungene Krawattentuch Lord Setons verschwand Caterina endlich, mit einem romantischen Roman bewaffnet, in ihr Zimmer.
    Sofort machte Amelie sich an ihre Verwandlung, und bald stand da statt der eleganten Dame eine schäbige Alte, die im Dunkeln als eine Magd oder eine Wanderarbeiterin durchgehen konnte. Am gestrigen Tag hatte sie die unglückliche junge Frau gesehen, die weinend und elend vor dem imposanten Eingang des Magistratsgebäudes an der Paradise Road stand. Das weitläufige Gemäuer im romanischen Stil wirkte allein schon durch seine gewaltige Größe einschüchternd. Amelies Anwesen lag nur einige Häuser weiter, und als sie von einer Besorgung heimkehrte, hatte sie im Vorbeigehen das Lamento einiger Weiber gehört, die beklagten, dass die arme Schwangere den langen Weg den Hügel hinauf zum Arbeitshaus gehen sollte. Der Gemeindediener hatte die Begleiterin der Frau, vermutlich ihre
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