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'Sie können aber gut Deutsch'

'Sie können aber gut Deutsch'

Titel: 'Sie können aber gut Deutsch'
Autoren: Lena Gorelik
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Politik gefragt. Meine Mutter, die sich fast noch mehr als ich über ihr bekannte oder unbekannte Menschen mit solchen Erwartungshaltungen empören und aufregen kann, bringt als Beispiel immer ihre Verwandten und Freunde an, die aus der ehemaligen Sowjetunion in die USA oder nach Israel ausgewandert sind. Durch die Bank, erklärt meine Mutter dann aufgeregt, würden sie alle arbeiten, hart arbeiten, unabhängig von ihrem Alter, Gesundheitszustand, Spaß an ihrem Job haben. Weil es gar nicht anders ginge, weil diese Staaten das nun mal so verlangten, was richtig sei, sie hätten das Recht dazu. Ohne Arbeit keine Wohnung, keine Krankenversicherung, keine Bildung. Kein hilfsbereiter Sozialstaat, der einem ermögliche, zuhause zu sitzen und russischsprachiges Fernsehen zu schauen den ganzen lieben Tag lang. Wer nicht arbeite, gehe dort unter, was wahrscheinlich sogar der Realität entspricht. Nun ist natürlich politisch durchaus streitbar, ob die amerikanischen Regelungen und Verhältnisse auf unser Land übertragbar oder hier auch nur wünschenswert wären, aber eines bleibt festzuhalten: Die Politik muss genügend Anreize schaffen, damit sich Arbeit lohnt. Diese Anreize können und müssen an mancher Stelle auch in Sanktionen bestehen, wenn sich jemand der Teilhabe an diesem Land komplett verweigert. Damit es sich auszahlt, zu arbeiten, sich weiterzubilden, zum individuellen als auch Wohl und Wohlstand dieses Landes beizutragen. Sich nicht nur in finanzieller Hinsicht auszahlt, sondern auch insofern, als man sich als wertvoller Bürger dieses Landes fühlt. Man gibt, und man nimmt.
    Eine solche Atmosphäre zu schaffen ist für alle Bürger wünschenswert. Betrachtet man jedoch die Situation der Migranten, insbesondere die der Neuzuwanderer, so ist es umso
schwieriger und aufwendiger, ein Vertrauensverhältnis, das auf Geben und Nehmen basiert, aufzubauen, da das – beidseitige  – Vertrauen erst künstlich geschaffen werden muss. In Frankreich, Österreich und den Niederlanden zum Beispiel werden mit allen Neuzuwanderern so genannte Integrationsverträge geschlossen, in denen festgehalten wird, wozu sich die beiden Vertragspartner – Zuwanderer und Staat – verpflichten: Dies kann vom Erlernen der Sprache auf der einen Seite bis zu finanzieller Hilfe auf der anderen reichen. Ob solche Verträge für Deutschland nach der Vorgeschichte als Einwanderungs- oder vielmehr als angebliches Nicht-Einwanderungsland im Jahre 2012, wenn die Abwanderungszahlen die der Einwanderung überschreiten und man sich mehr um die Fehler von gestern als um die Probleme von morgen kümmern muss, das Richtige sind, steht zu bezweifeln; sie setzen aber dennoch ein klares Signal für den Neuankömmling: Du und ich, wir haben einen Vertrag. Du und ich, wir haben eine Beziehung. Du und ich, wir werden miteinander zu tun haben. Es gibt ein »Du und ich«. Ein solches Bekenntnis schafft auch jenseits der niedergeschriebenen und in den meisten Fällen bei Nichteinhaltung sanktionierten Vertragsbedingungen ein Verhältnis, das sich schon einmal nicht über eine einseitige Erwartungshaltung definieren kann. Zudem vermittelt es dem Neuzuwanderer im besten Fall das Gefühl, ein Partner und damit ein Teil dieses Staates zu sein. Dass solche Verträge in Deutschland, wo Migranten nun schon seit drei Generationen leben und sich nicht unbedingt immer eingeladen, willkommen, dazugehörig fühlen, rückwirkend wahrscheinlich nicht mehr viel bewirken, gar Unheil anrichten könnten, indem sie auch Menschen, die zwar einen so genannten Migrationshintergrund haben, sich aber hier schon lange zuhause fühlen, wieder unnötigerweise in diese Schublade pressen, sie damit vergraulen
und sie auf emotionaler Ebene ihres Zuhauses entrauben würden, ist die eine Sache. Nichtsdestotrotz können sie aber eine Anregung für die Politik sein, sich Gedanken darüber zu machen, was sie zu einer solchen Atmosphäre der Partnerschaftlichkeit, der Teilnahme beitragen kann. Denn dass wir eine solche brauchen, dringend brauchen, steht außer Frage.
    Dabei sollte man dort beginnen, wo man meistens beginnt: im Kleinen. Bei den kleinen Menschen, in deren Bildung zu investieren sich für unser aller Wohl am meisten lohnt. Immer wieder ist in den unsäglichen Integrationsdebatten von »Kindern aus bildungsfernen Familien mit Migrationshintergrund« zu hören, schwingt der nicht direkt ausgesprochene Vorwurf mit, die aus anderen Ländern stammenden Menschen hätten gar kein
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