'Sie können aber gut Deutsch'
Sie sagte es angewidert nach einem Blick auf die Torte, das schmerzte nicht weniger. Die Torte aß niemand, das brach mir innerlich das Herz, ich schämte mich doppelt. Ich schämte mich für die Torte, schämte mich, weil ich mir vorstellte, wie die anderen auf dem Nachhauseweg ihren sie abholenden Eltern von der »ekeligen Geburtstagstorte« berichten würden, die es bei Lena gegeben hatte. Die Eltern würden mich tolerieren, das wusste ich, auch das gab mir ein ungutes Gefühl. Ich schämte mich aber auch für meine Freunde, schämte mich ausnahmsweise – und im Rückblick endlich einmal! – meiner Mutter gegenüber, die den halben Tag in der Küche gestanden hatte, um mir, mir, aber auch meinen Freunden, eine Freude mit dieser Torte zu machen, um ihrer Tochter einen perfekten Geburtstag zu bereiten.
Wie wird man solche Erfahrungen wieder los? Sie brennen sich in der Erinnerung fest, nicht nur als Ereignis an sich, sondern vor allem als die Gefühle, die damit einhergingen, die Scham, auch kurz der Hass auf die anderen Kinder. Jahrelang vermied ich es, jemandem russisches Essen anzubieten, jahrelang aß ich Dinge wie meine Lieblingstorte alleine, nahm auch nichts Derartiges in die Schule mit. Selbst viele Jahre später, nachdem ich ein wenig über die Angst des Nicht-toleriertwerdens hinweggekommen bin und der russische Kartoffelsalat in meinem Umkreis legendär geworden ist, hasse ich es, wenn ich Freunde frage, was ich zur Party mitbringen soll, und sie antworten: »Den russischen Kartoffelsalat natürlich.« Weil
es für mich bedeutet, dass ich mir den gesamten Tag Gedanken darüber mache, ob die anderen Gäste ihn nicht »eklig« und »igitt« finden werden, ob ich nicht wieder toleriert werde, weil man seiner Vergangenheit nicht entkommt, weil uns das, was wir an Erfahrungen machen, nun einmal prägt. Das zu verleugnen – zum Beispiel, indem man annimmt, wer in ein anderes Land kommt, wird ein anderer, neuer Mensch und kann seine Vergangenheit einfach ablegen, womit wir beim eigentlichen Thema wären –, ist schlicht und ergreifend hirnrissig. Sowie vollkommen realitätsfremd.
(Bislang ging der Kartoffelsalat immer gut weg. Ich erwähne das nicht deshalb, weil ich Werbung für den russischen Kartoffelsalat machen möchte, sondern um deutlich zu machen, dass meine Ängste davor, toleriert zu werden, auf früheren Erfahrungen beruhen, nicht unbedingt auf aktuellen Begebenheiten. Dass mir also durchaus klar ist, dass Erlebnisse aus meiner Kindheit in einer Kleinstadt nicht pauschalisierend auf die deutsche Mehrheitsgesellschaft zu übertragen sind, und auch wir Nicht-Urdeutschen, in dem Fall also ich, gut daran täten, unsere Ängste in dem Maße abzubauen, wie auf der anderen Seite mögliche Toleranzgefühle abgebaut werden).
Ein Filmemacher mit vietnamesischen Wurzeln – die in einem vietnamesischen Elternteil bestehen, ohne jegliche vietnamesische Sprachkenntnisse, dafür aber mit asiatischen Gesichtszügen und aufgrund dieser Tatsache zu vielen Toleranz-Erfahrungen – sagte letztens zu mir, ihm sei noch lieber die Ignoranz. Einfach die Ignoranz derer, die anders sind, die man vielleicht sonderbar findet, deren Torten einem verdächtig vorkommen oder nicht schmecken, derer, mit denen man nichts anfangen kann. Das Zugeständnis, nebeneinander (und nicht miteinander), also einander ignorierend leben zu können, reiche ihm vollkommen. Sei allemal besser als Toleranz, sei
vielleicht gar Demokratie. (Ich fand den Gedanken traurig, Demokratie mit einem Zustand der Ignoranz gleichzusetzen, aber allerdings immer noch besser als die Erinnerung an Toleranz.)
Aber da wir schon bei anz-Begriffen sind: Wie wäre es einfach mit Akzeptanz? Wie wäre es, wenn wir alle einfach nur akzeptieren, dass es Menschen gibt, die anders leben, lieben, glauben, denken, lesen, sprechen, fühlen, arbeiten, erziehen, essen, trinken, gestalten, handeln, meinen als wir selbst? Dieses einfache Konstrukt der Akzeptanz wird in der Diskussion hierzulande, so meint man manchmal, als naiv abgetan, dabei ist es doch ein Fortschritt des Menschen, ja der Menschheit, zu lernen und zu akzeptieren. Von Nicht-Akzeptanz zur Akzeptanz zu gelangen, ist ein Schritt der Gesellschaft in die Demokratie, so einfach oder naiv das auch scheinen mag. Akzeptanz baut Hierarchien ab, die Toleranz mit sich bringt. Akzeptanz fordert von den einen wie von den anderen und sorgt damit für Gleichberechtigung. Akzeptanz bedeutet, dass man den anderen nicht
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