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Showdown

Showdown

Titel: Showdown
Autoren: Dirk Müller
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Bedenkenträgern hätte überlassen dürfen. Zu diesen Bedenkenträgern gehörten in vorderster Front eben auch unsere direkten Nachbarn, die Franzosen. Wenige Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs war das Misstrauen gegen den einstigen Erzfeind trotz aller Waldspaziergänge und Saumagenessen mit dem »großen und bekennenden Europäer« Helmut Kohl längst noch nicht ausgeräumt. Es wird der lange zuvor vom französischen Literaturnobelpreisträgers François Mauriac geprägte Satz überliefert, der die Befindlichkeit vieler Franzosen und anderer Europäer in jenen Tagen nur zu gut wiedergibt: »Ich liebe Deutschland. Ich liebe es so sehr, dass ich zufrieden bin, dass es zwei davon gibt.«
    Nach den dramatischen und sich überschlagenden Ereignissen um den Mauerfall 1989 , von dem jeder gleichermaßen überrascht war, folgten in den kommenden Monaten die Gespräche und Verhandlungen über die weitere politische Entwicklung Deutschlands. Da hier viele internationale Interessen eingebunden waren, liefen die wichtigsten Verhandlungen in den sogenannten Zwei-plus-Vier-Gesprächen ab. Hier saßen die beiden deutschen Staaten (Bundesrepublik Deutschland + Deutsche Demokratische Republik) und die vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs (Sowjetunion, USA , Frankreich und Großbritannien) mit am Tisch. Als sich auch noch Italien und die Niederlande mit einmischen wollten, soll der heute legendäre Außenminister Hans-Dietrich Genscher (genau, der mit dem gelben Pullunder) seinen niederländischen Amtskollegen mit den Worten »You are not part of the game« (ihr seid nicht Teil des Spiels) aus den Gesprächen ausgeschlossen haben.
    Die Franzosen bestanden am Ende darauf, einer Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten nur zuzustimmen, wenn Deutschland sich für alle Zeiten und unwiderruflich in das europäische Haus integrieren würde. Dazu fand Kohl sich bereit. Er war schon früh ein Verfechter einer echten europäischen Union: eines Verbunds mit gemeinsamer Außen- und Finanzpolitik und in vielen Punkten aneinander angepassten Systemen. Doch das war den Franzosen wieder zu viel Gekuschel. Schließlich sollte sich ja niemand über Gebühr in die inneren Angelegenheiten der Grande Nation einmischen. Für Frankreich gab es nur eine Lösung: eine gemeinsame Währung, den Euro – aber das bitte ohne politische Mitsprache. Dass so etwas von vornherein zum Scheitern verurteilt sein muss, dürfte jedem klar sein, der sich ein wenig mit den wirtschaftlichen Zusammenhängen beschäftigt, zu denen wir im Laufe der nächsten Seiten noch kommen werden. Man muss schon Traumtänzer oder Politiker sein, um ein solches Konstrukt für sinnvoll zu erachten. Vermutlich genügt auch das noch nicht, und man braucht einen politischen Traumtänzer dafür. Es gab nämlich sehr wohl Politiker, die diese drohenden Konsequenzen realistisch heraufziehen sahen. Ebenjener Helmut Kohl war gezwungen, sehenden Auges eine Entscheidung mit langfristig katastrophalen Folgen zu treffen. Dass er sich über die Folgen einer zu frühen Währungsunion im Klaren war, zeigt noch Monate nach Inkrafttreten des Zwei-plus-Vier-Vertrags seine Rede im Deutschen Bundestag vom 6 . November 1991 :
    »Man kann dies nicht oft genug sagen. Die Politische Union ist das unerlässliche Gegenstück zur Wirtschafts- und Währungsunion. Die jüngere Geschichte, und zwar nicht nur die Deutschlands, lehrt uns, dass die Vorstellung, man könne eine Wirtschafts- und Währungsunion ohne Politische Union auf Dauer erhalten, abwegig ist.«
    Doch Kohl fand damit kaum Gehör. Mitterrand bestand auf seinen Bedingungen: »Ihr bekommt die Wiedervereinigung nur, wenn ihr auf die D-Mark verzichtet.«
    Kohl befand sich nun vor der schweren Entscheidung: Wiedervereinigung und dafür die Deutsche Mark aufgeben oder auf die Mark bestehen und die Wiedervereinigung gefährden.
    Wir alle wissen, wie er sich entschieden hat.
    Vermutlich hätten wir weit höhere Preise für diese Wiedervereinigung bezahlt, weswegen es auch müßig ist, über diesen Konstruktionsfehler aus längst vergangenen Tagen zu streiten. Umso mehr verwundert es aber, dass immer wieder der eine oder andere Politiker diesen Zusammenhang zwischen Euro und Wiedervereinigung bestreitet – aus welchen Gründen auch immer.
    Wer aber noch auf eine endgültige Bestätigung dieser Verkettung von offizieller Seite wartete, der bekam sie im August 2011 , als sich Robert Zoellick während einer öffentlichen Rede im australischen
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