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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal
Autoren: Christian Mähr
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nicht gehen wollen. Es erschien ihm auf vage Art unpassend. Er hätte nicht genau sagen können, warum. Erst als Karin ihn fragte, ob er hingehen würde, kam die Sache zur Sprache, er musste sich entscheiden und die Entscheidung begründen, denn mit Karin konnte er nicht so umgehen wie mit irgendwelchen Leuten. Sie redeten darüber und kamen zum Schluss, dass es gar keinen Grund gebe, nicht hinzugehen. Es würde niemand da sein, dem Koslowski unter allen Umständen aus dem Weg gehen müsste oder wollte, ganz bestimmt nicht. Und wenn doch, dann würden so viele Leute da sein, dass man in der Menge untertauchen könnte. Also ging er hin.
    An dem Tag regnete es in Strömen. Es hatte am Vorabend angefangen, dann die ganze Nacht hindurch geschüttet und setzte sich nun als nieseliger Landregen fort, nicht das erste Mal in diesem Frühjahr. Die Zeitungen schrieben den üblichen Sermon über die Klimaänderung; das Fernsehen zeigte Bilder der ersten lokalen Überschwemmungen. Karin hatte gesagt, sie würde auch da sein, er sah sie aber nicht; als er ankam, war alles schwarz von Regenschirmen, hinein konnte man nicht mehr, ausgeschlossen, die Leute standen in einer breiten Traube vor der Tür. Die Traube war so groß, dass man als spät Gekommener nicht einmal in die Nähe kam, was drin passierte, war nicht zu hören. Koslowski mustertedie Umstehenden, um Gesichter zu erkennen, sich zurückziehen zu können, wenn ihm eines auffiel, das ihm nicht passte – reine Paranoia, dachte er dann, was für Gesichter müsste ich fürchten? Es fiel ihm kein einziges ein.
    Es war langweilig, wenn man es mit der dem Anlass angemessenen Höflichkeit ausdrücken wollte. Koslowski bedauerte nicht, dass er von den Vorgängen nichts mitbekam, er vermisste das Ritual nicht, er hatte keine Bindungen an Rituale, gleich welcher Art. Er bedauerte nur, dass allmählich Wasser in die Nähte seiner Schuhe drang. Der Boden war nicht eben, auch der Kies konnte die Senken nicht völlig ausgleichen, in einer stand er, im langen Regen war es nun eine flache Pfütze. Es lag auch an den Schuhen, er hatte sie erst vor drei Wochen gekauft und mit der Selbstverständlichkeit alter Gewohnheit das untere Preissegment gewählt, obwohl das nicht nötig war, er hätte sich die teuersten Schuhe leisten, machen lassen können, Maßarbeit, mit Nähten, die kein Wasser durchließen. Karin durfte das sowieso nicht wissen, sie schimpfte, wenn sie dahinter kam, dass er wieder »billigen Mist« gekauft hatte; eine Angewohnheit der Studententage und mit dem Geld, das er nun hatte, doppelt idiotisch. Aber dieses Geld wollte er nicht verprassen, sondern so anlegen, dass Karin etwas davon haben würde; das trieb ihn um, wann immer er sich nicht durch andere Beschäftigungen ablenken konnte, wie eben jetzt, als er mit Unbekannten im Regen stand und abwarten musste, bis es vorbei war.
    Es kamen immer noch Leute und drängten nach vorne, als gebe es da vorn etwas gratis abzuholen; Koslowski ließ sich zurückfallen an den äußeren Rand der Menge, kam so auch aus der Pfütze heraus, er musste heim, die Schuhewechseln, eine Trottelei der Schuhkauf, unverzeihlich; er könnte sich hier eine Lungenentzündung holen – durch nichts verursacht als schmutzigen Geiz, so war es doch! Er ärgerte sich. In letzter Zeit ärgerte er sich oft. Immer über sich selbst. Er wurde den eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Er hätte etwas Sinnvolles machen sollen, aber so sehr er auch darüber nachdachte, es fiel ihm nichts ein. Und dann das Geld. Er musste es anlegen, die Inflation war niedrig, fraß aber doch an seinem Geld wie Ungeziefer. Es war keine Lösung, es im Keller zu verstecken; das Geld musste gewaschen werden, er wusste nicht wie, oder angelegt an Orten, wo man nicht nach der Herkunft fragte. Solche Orte gab es sicher, aber er hatte keine Ahnung von den herrschenden Modalitäten, das war alles kriminell, keine Frage. Wenn er jetzt in die Karibik fuhr und sich dort einem Bankinstitut anvertraute, würde er, das war so sicher wie das Amen in der Kirche, im besten Fall alles verlieren, im schlimmsten mit durchgeschnittener Kehle in einem Hafenbecken treiben. Es war mit der Kriminalität wie in allen Branchen: man musste etwas davon verstehen, besser noch, das Metier beherrschen, wenn man Erfolg haben wollte. Er aber verstand nichts davon, er hatte einfach Glück gehabt, unverschämtes Glück, von Rechts wegen sollte er jetzt im Gefängnis sitzen und nicht hier im Regen stehen. Amateure
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