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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal
Autoren: Christian Mähr
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ihm ein. Er verwarf den Gedanken.
    »Etwa sechzig Mal«, sagte Pfarrer Moser, kam näher heran. »Einfache Zeitwörter wie ›liegen‹ oder ›bleiben‹ sind deutlich häufiger. Komisch, nicht? Dabei waren die Leute damals sehr arm, sie hätten also genug zu bitten gehabt ...«
    »Ja, ja, ich verstehe schon«, beeilte sich Semmler einzuwenden, er hatte kein Interesse an einer öden marxistelnden Predigt über Arme und Reiche; dorthin zog es den Pfarrer wie von einem Schwerkraftzentrum, das spürte er. Erstaunlich,wie rettungslos links die Pfaffen waren, sogar die härtesten konservativen Knochen wie dieser Moser.
    »Also bitten«, drängte Semmler, »Gott bitten, okay. Worum bitten? Was soll ich da sagen?«
    »Mathäus 7, Vers 7: ›Bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan.‹ Also ganz einfach. Sie bitten um das, was Sie brauchen, verstehen Sie?«
    »Einfach so?«
    »Einfach so. Es gibt keine Abmachung, keinen Deal. Kein ›Do ut des‹.«
    »Das wäre wunderbar ...«
    »Nicht wahr? Die Sache hat nur einen Haken, den ich Ihnen nicht verschweigen will. Viele Bitten erhört Gott, aber nicht alle. Das lehrt die Erfahrung durch Jahrtausende. Da Gott allmächtig ist, liegt das Problem nicht darin, dass er nicht alle Bitten erfüllen kann, sondern darin, dass er es nicht will ...«
    »Es könnte doch aber auch sein«, sagte Semmler, »dass ihn zwei Leute um Gegensätzliches bitten – dann kann er nicht beide Bitten gleichzeitig erfüllen. Von der Logik her ...«
    »Ja, das ist ein beliebtes Argument. Es gilt allerdings nur, wenn die Realität so beschaffen ist, wie wir das seit zweitausendfünfhundert Jahren glauben. Wenn allerdings die so genannte Viele-Welten-Theorie zutrifft, wäre es möglich, dass bei jeder Bitte an Gott sich die Realität in zwei Zweige aufspaltet: im einen erfüllt er die Bitte, im anderen nicht – oder in Ihrem Beispiel: In der einen Welt erfüllt er die Bitte von A, in der anderen die von B. Ist doch prima, oder? Damit wäre allen gedient. Und die Wissenschaft sagt sogar, das sei logisch möglich!«
    »Und was hilft mir das?«
    »Äh ... nichts, fürchte ich. Genau nichts. Aber immerhin haben Sie den Trost, dass Sie in einer Parallelwelt mit gesundem Bein herumlaufen, in einer weiteren Ihr Wagen noch in Ordnung ist, in noch einer weiteren Ihr Haus nicht abgebrannt, Frau Ursula gesund und munter und an Ihrer Seite – oder nicht an Ihrer Seite, und so weiter und so fort; ganze Heerscharen laufen dort herum, die alle so aussehen wie Sie, die Sie sind, faszinierend ... wenn man Ihr individuelles Schicksal dagegen stellt, sind Sie eine verschwindende Minderheit ...«
    »Das mag ja sein. Aber das ist doch für mich kein Trost! Nicht hier und heute!«
    »Nein? Das tut mir echt leid. Etwas Besseres können Sie von dieser Seite nicht erwarten – von der Wissenschaft und so ... ich kann es Ihnen nicht verhehlen: Gott ... nun ja ...« Er verstummte wie vorhin. Vielleicht leidet er an Gedankenflucht, kam es Semmler in den Sinn, zugleich fiel ihm der Professor Holzer ein, der damals im Gymnasium dasselbe Problem gehabt hatte; mitten in der Rede aufhören, zwei Minuten in eine Ecke starren und dann fortsetzen, als ob nichts gewesen wäre. Sie hatten die zwei Minuten ausgenützt, um Unsinn zu machen. Pfarrer Moser starrte nicht mehr in eine Ecke, sondern begann wieder, im Mittelgang auf und ab zu wandern.
    Der Wind hatte aufgehört, es zog nicht mehr. Es war aber dunkel geworden. Die Fensterflächen und die Türöffnung hoben sich fahl gegen die Finsternis ab, die sich von den Ecken her in der Kirche ausbreitete. Durch die offene Tür kam das Geräusch eines gleichmäßigen schweren Regens.
    »Ich sagte«, begann der Pfarrer, »Ihr Problem sei einfachund schwierig zugleich. Immer verglichen mit Ihrer bisherigen Praxis ... Deal mit dem ›Universum‹ und so weiter. Einfach: weil Sie nur bitten müssen: kein Deal, keine Versprechungen, kein Opfer, gar nichts von Ihrer Seite. Bis auf eins – und genau da liegt die Schwierigkeit, die es auch wieder schwer macht: Sie müssen glauben! Sehen Sie, das Neue Testament ist voll von Leuten, die fest glauben, dass Jesus sie heilen oder sonst was für sie arrangieren kann – und die Sache funktioniert dann auch jedes Mal. Aussätzige, Blinde, Krüppel, der Hauptmann von Kapernaum und so weiter – ein buntes Panorama gesundheitlich oder sozial Benachteiligter. Macht aber nichts, weil diese Leute glauben ! Und sie
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