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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain
Autoren: Anne Perry
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könnte. Ich bitte das Gericht um Nachsicht. Ich bin sicher, er wird nicht lange brauchen.« Das will ich ihm jedenfalls nicht raten, dachte er grimmig, sonst wird die Angelegenheit wegen eines Protokollfehlers schieflaufen.
    »Dies ist kein Gericht, das einen Verteidiger notwendig macht, Mr. Rathbone«, sagte der Leichenbeschauer gereizt.
    »Wenn Mr. Goode uns nicht mit seiner Anwesenheit beehren will, werden wir ohne ihn fortfahren. Haben Sie irgendwelche Fragen, die Sie diesem Zeugen stellen wollen?«
    Rathbone holte tief Luft, um so umständlich zu antworten, wie es ihm nur möglich war, eine Notwendigkeit, die ihm erspart blieb, weil gerade in diesem Augenblick die Türen in ihren Angeln weit aufschwangen. Ebenezer Goode trat mit energischen Schritten und wehenden Rockschößen ein, die Arme voller Papiere. Er ging sofort nach vorn, schenkte dem Leichenbeschauer ein strahlendes Lächeln, entschuldigte sich überschwenglich und nahm seinen Platz ein, wobei es ihm gelang, jeden zu stören, der innerhalb eines Drei-Meter-Umkreises von ihm entfernt saß.
    »Sind Sie soweit, Mr. Goode?« fragte der Leichenbeschauer voller Sarkasmus. »Dürfen wir fortfahren?«
    »Natürlich!« sagte Goode immer noch mit dem gleichen Lächeln. »Sehr zuvorkommend von Ihnen, auf mich zu warten.«
    »Wir haben nicht auf Sie gewartet!« fuhr der Leichenbeschauer ihn an. »Haben Sie irgendwelche Fragen an diesen Zeugen, Sir?«
    »Aber ja, vielen Dank.« Goode erhob sich, warf seine Papiere durcheinander und sammelte sie wieder auf, bevor er sich dranmachte, eine Menge Fragen zu stellen, die lediglich bestätigten, was Jimson bereits gesagt hatte. Niemand erfuhr irgend etwas Neues, aber es kostete ungeheuer viel Zeit, und genau das bezweckte Goode. Und Rathbone. Der Leichenbeschauer konnte nur mit Mühe die Beherrschung bewahren.
    Bailey, der zweite Wärter, wurde als nächstes aufgerufen, und der Leichenbeschauer erhielt die Bestätigung all dessen, was Jimson gesagt hatte, aber ohne besonders viel Zeit zu verlieren. Es gab keine Widersprüche, auf die man näher hätte eingehen müssen.
    Goode mußte all seinen Einfallsreichtum aufbieten, um sich genug Fragen auszudenken, um die Sache noch eine weitere halbe Stunde in die Länge zu ziehen, und Rathbone fiel es anschließend sehr schwer, überhaupt noch etwas hinzuzufügen.
    Er beschrieb noch einmal Calebs Worte, seine Gesten, seinen Tonfall, sein Benehmen während der Verhandlung. Er fragte Bailey sogar, was Caleb seiner Meinung nach empfunden und welchen Ausgang der Verhandlung er erwartet habe, bis der Leichenbeschauer ihm Einhalt gebot und ihn darauf aufmerksam machte, daß er den Zeugen aufforderte, Spekulationen über Dinge anzustellen, die er unmöglich wissen konnte.
    »Aber Sir, Mr. Bailey ist ein sachkundiger Zeuge, was die Stimmung und die Erwartungen von Gefangenen betrifft, denen man ein Kapitalverbrechen zur Last gelegt hat«, protestierte Rathbone. »Das ist sein tägliches Brot. Wer könnte besser wissen, ob ein Gefangener auf einen Freispruch hofft oder nicht? Wenn wir die Wahrheit herausfinden wollen, ist es von höchster Wichtigkeit zu wissen, ob Caleb Stone verzweifelt war oder ob er noch immer eine gewisse Hoffnung hegte, am Leben zu bleiben.«
    »Natürlich ist es das, Mr. Rathbone«, räumte der Leichenbeschauer ein. »Aber Sie haben von Mr. Bailey und Mr. Jimson bereits alles erfahren, was sie wissen. Es ist meine Aufgabe, Schlußfolgerungen zu ziehen, nicht die der Zeugen, wie erfahren sie auch sein mögen.«
    »Ja, Sir«, sagte Rathbone widerstrebend. Es war ein Uhr.
    Der Leichenbeschauer schaute auf seine Uhr und vertagte die Verhandlung bis nach dem Mittagessen.
    »Haben Sie von Monk gehört?« fragte Goode, als er und Rathbone in einer exzellenten Gaststube in der Nähe Platz nahmen und ihre Mahlzeit genossen - Rinderbraten und Gemüse, Bier, Apfel und Brombeerpastete, reifen Stiltonkäse und feine Kekse. »Hat er irgend etwas in Erfahrung gebracht?«
    »Nein, ich habe nichts von ihm gehört«, antwortete Rathbone mißmutig. »Ich weiß, daß er nach Chilverley gefahren ist, aber seitdem habe ich keine Nachricht mehr von ihm erhalten.«
    Goode nahm sich eine große Portion Käse.
    »Und was ist mit der Krankenschwester?« fragte er. »Wie hieß sie noch? Latterly? Hat sie irgend etwas Nützliches in Erfahrung gebracht? Ich habe sie im Gerichtssaal gesehen. Sollte sie nicht im East End sein? Wir hätten ihre Aussage hinauszögern können. Vielleicht hätte sie
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