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Sehnsucht nach Leben

Sehnsucht nach Leben

Titel: Sehnsucht nach Leben
Autoren: Margot Kaeßmann
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Auf dieser EXPO wurde deutlich, dass Religion im 21. Jahrhundert noch lange nicht passé ist. Was die Reformatoren meinten, wenn sie von „semper reformanda“ gesprochen haben, von der Erneuerung, von der stetigen Veränderung der reformatorischen Kirchen, wurde dort sichtbar. Die Menschen erlebten unseren Christus-Pavillon als Ort, der abseits von Trubel und Elektronik, von Computeranimation und Videosession sie selbst ansprach. Ein Ort, der etwas von der Menschenfreundlichkeit Gottes ausstrahlte. Ein Ort der Stille, des Stundengebetes, des Gottesdienstes. Übrigens auch ein Ort, an dem wir als evangelisch-lutherische Landeskirche die römisch-katholische Kirche als Schwesterkirche erlebten, an dem Ökumene praktiziert wurde, was auch immer der Vatikan darüber denken mag. Dieser Pavillon wurde für viele Menschen im Getümmel der Weltausstellung zu einem Ort der Geborgenheit. Sie zogen ihre Schuhe aus, fanden Stille, ein Gefühl der Geborgenheit und spürten, dass sie angenommen sind – jetzt und hier. Das war für mich ungeheuer ermutigend. Die christliche Religion ist präsent auch im 21. Jahrhundert. Unser tradierter Glaube und die über Jahrhunderte hinweg erprobten Rituale unseres Glaubens bergen konkrete Antworten für Menschen mitten in unserer Zeit und Welt.
    Der zweite Bogen führt mich zu Johann Sebastian Bach und dessen wunderbarer Kantate zum Lutherlied „Ein feste Burg“. Die Melodie ist außergewöhnlich, schon weil sie mit dem höchsten Ton beginnt. Zweimal von C bis C, ein kraftvoller Charakter, der die Glaubensaussage nahezu majestätisch gestaltet. Der Teufel in der Melodiepassage hat durchaus etwas Windendes, Schlangenhaftes. Bach hat das Bild von Kampf und Sieg aufgegriffen. Ich finde es bemerkenswert, auf welche Weise der Komponist den Akzent auf Christus verstärkt, ja, dass das Sündenthema von Bach betont wird. Das Vertrauen auf Gott als feste Burg, die unserem Leben Halt gibt, wird in einem Duett von Alt und Tenor ausgeführt, das barocke Verinnerlichungstendenzen aufzeigt: Wie selig sind doch die, die Gott im Munde tragen, doch seliger ist das Herz, das ihn im Glauben trägt – so interpretiert Bach Martin Luther.
    Und so wie Bach Luthers Thema in seine Zeit hineingetragen hat, sind auch wir heute als Christinnen und Christen aufgerufen, die Botschaft von der Freiheit, zu der uns Christus befreit hat – so der Apostel Paulus –, die Botschaft von der Verantwortung, in die uns Gott stellt, die Lehre von der beständigen Erneuerung der Kirche, von der Rechtfertigung allein aus Glauben und dem Priestertum aller Gläubigen in unsere Zeit zu übersetzen. Ich bin überzeugt, dass die Reformation noch heute andauert. Wir brauchen eine kraftvolle Kirche, die Menschen Gott als Schutz nahebringt. Sicher nicht so sehr im Bild von Wehr und Waffen, aber doch als Ort der Geborgenheit mitten im Chaos des Lebens, als Kraftquelle in Zeiten der Schwäche, als Friedenssymbol in einer Zeit der Waffen und als Brot in einer Zeit der Armut.
    Ja, wir spüren manches Mal im Leben Unbehaustsein. Wir haben eine Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Geborgenheit. Ich bin davon überzeugt, dass der christliche Glaube uns einen solchen Ort bietet. Gemeinden können Ankerpunkte sein. Die alten Texte können uns verwurzeln und Geborgenheit schenken. Es braucht nur Mut, sich darauf einzulassen. Das wünsche ich Menschen, die in unserer Zeit auf der Suche nach Geborgenheit sind: dass sie diese in diesem alten Glauben finden können. Dass sie in den Wirren unserer Tage Zuflucht finden in dem Glauben, der Menschen seit Jahrtausenden beheimatet. In Worten und Ritualen, in Gebäuden und Liturgien, die älter sind als wir selbst. Denn ich bin überzeugt: Sie bergen uns auch in einer Zeit, die meint, nur das Neue, das Innovative, die nie zuvor gekannten virtuellen Welten seien von entscheidender Bedeutung. Das alles wird unserer Seele letzten Endes keine innere Ruhe schenken, denke ich. Aber wir können Geborgenheit finden im Glauben unserer Väter und Mütter, der sich nicht unablässig wandelt, sondern in jahrhundertealter Tradition einen Halt bietet, an dem wir uns und unser Leben festmachen können.
Sehnsucht nach
LIEBE

    Martin Luther hat einmal gesagt, Gott sei wie ein Backofen voller Liebe. Daran erinnert mich das ganz in Rottönen gehaltene Bild von Eberhard Münch, das auch das Cover dieses Buches
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