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Seelensunde

Seelensunde

Titel: Seelensunde
Autoren: Silver Eve
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Das T-Shirt, das er zerrissen hatte, war nicht mehr zu gebrauchen. Er hielt ihr sein Hemd hin, in dessen Rückenteil blutverkrustet noch das Einschussloch von der Straßenschlacht beim Setnakht-Tempel zu sehen war. Das war jedoch nicht das Problem. Es gab ein anderes. Als Naphré das weiße Hemd übergezogen hatte, zeigte sich, dass es fast durchsichtig war. Die dunkelbraunen Höfe um die Spitzen ihres Busens waren deutlich zu sehen.
    Alastor schüttelte den Kopf. „Das geht nicht. Das lenkt mich zu sehr ab. Zieh es wieder aus.“
    „Ach? Wenn ich nichts anhabe, lenkt dich das weniger ab?“ Dennoch streifte sie das Hemd wieder über ihren Kopf und gab es ihm zurück.
    Er nahm sich ihr Messer, trennte den unteren Teil des Stoffs ab und faltete den breiten Streifen zweimal. Dann trat er hinter Naphré, legte ihn ihr über die Brust und knotete die Enden in ihrem Rücken zusammen, sodass daraus eine Art provisorischer BH entstanden war. Den Rest des Hemdes reichte er ihr zum Überziehen.
    „Äußerst innovativ“, meinte sie anerkennend.
    Alastor verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. „Wenn es unbedingt sein muss, schon.“
    „Aber du hast es sonst nicht so mit provisorischen Lösungen, oder?“
    „Sagen wir mal so: Planvolles Handeln ist mir lieber.“
    Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss. „Den Eindruck habe ich auch.“
    Alastor hob sein Jackett auf, aber anstatt es anzuziehen, hielt er es hoch und betrachtete es prüfend. Dann nahm er erneut das Messer zur Hand. Naphré beobachtete ihn aus den Augenwinkeln, während sie sich die Stiefel zuschnürte. Er schnitt zwei Längsstreifen aus dem Rückenteil, die er darauf zusammenknotete. Mit einem Ruck überprüfte er die Festigkeit des Knotens.
    Mit dem Ergebnis offenbar zufrieden, schlang er sich das eine Ende um seine Taille, dann das andere um Naphrés. „Ich will nicht, dass wir noch einmal von der Strömung getrennt werden“, erläuterte er.
    Darauf nahm er ihre Hand und führte Naphré ans Ufer des Flusses.
    „Bereit?“, fragte er.
    „Nicht so richtig.“
    Er nickte nur, sprang und zog sie mit sich ins Wasser.
    „Wo sind wir?“ Naphré richtete sich auf allen vieren auf und wartete, bis der Schwindelanfall, von dem sie ganz benommen war, sich gelegt hatte. Sie gab sich Mühe, nicht zu jammern. Wieder einmal herrschte um sie herum pechschwarze Dunkelheit.
    Sie gab es auf, gegen das Zittern ihrer Glieder und Klappern ihrer Zähne anzukämpfen. Das eiskalte Wasser lief in Bächen an ihr herunter. Das Gefühl, bis auf die Knochen durchnässt und durchgefroren zu sein, war kaum zu ertragen. Sie wandte den Kopf, aber auch das war im Grunde sinnlos, denn die Finsternis war undurchdringlich.
    „Alastor?“, rief sie. Sie hatte noch immer keine Antwort auf ihre Frage bekommen. Als sie wieder nichts von ihm hörte, rief sie noch einmal lauter seinen Namen.
    „Ja?“ Dem Klang seiner Stimme nach zu urteilen, ging es ihm nicht viel besser als ihr.
    „Warum antwortest du nicht gleich?“ Sie wandte sich in die Richtung, aus der seine Stimme gekommen war.
    Nichts. Schweigen.
    „Du hast nicht zufällig eine Taschenlampe dabei?“
    Sie hörte ein Geräusch von der anderen Seite und drehte sich erschrocken um.
    „Ich bin es nur, Liebste“, hörte sie Alastors Stimme dicht neben sich.
    „Meine Güte, hast du mir einen Schrecken eingejagt. Du schleichst herum wie eine Katze.“
    „Ich nehme das als Kompliment.“
    „Meinetwegen“, antwortete sie unwillig. „Was treibst du da eigentlich?“
    „Ich suche nach etwas, womit ich Licht machen kann.“
    „Ich denke, du hast auch Augen wie eine Katze.“
    „Normalerweise schon, aber nicht hier. Was immer hier bedeuten mag.“
    „Hier ist das Reich von Izanami“, sagte plötzlich eine Stimme aus der Dunkelheit.
    Naphré brauchte nicht lange zu überlegen. Es war die Stimme der Shikome. Sie klang zornig.
    „Ich dachte, da kommen wir gerade her“, meinte Alastor gelassen. Er zeigte keine Verwunderung darüber, dass sie nicht allein waren. Er war hinter Naphré getreten, hatte ihr aufgeholfen und legte nun von hinten schützend die Arme um sie.
    Es tat gut, ihn zu fühlen. Nicht allein, weil es ihr ein sichereres Gefühl gab. Ihn dicht bei sich zu wissen, war gut. Aber er wärmte sie auch, obwohl er selbst noch triefend nass war.
    „Wo ihr gewesen seid, war Jigoku“, tadelte die Shikome Alastors Unwissenheit. „Es ist das, was viele Sterbliche als Fegefeuer oder Vorhölle kennen. Ein Ort, an dem ein
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