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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger
Autoren: Andreas Brandhorst
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aus dem, was sich hinter dem Portal befand.
    Zacharias legte die Hände auf die Schultern der Zwillinge. »Ich bin nicht tot, wie ihr seht. Und ich komme erst jetzt, weil ich dafür sorgen musste, dass euch hier keine Gefahr mehr droht.« Er sah Florence an. »Der Seelenfänger fängt keine Seelen mehr, Flo. Ihr seid in Sicherheit.«
    »Nein, das sind wir nicht.« Sie hielt ihm das Dokument hin. »Lies das.«
    Zacharias las, und schon nach wenigen Sätzen wich das Lächeln von seinen Lippen. Er wurde immer ernster, sah schließlich zum Portal und sagte: »Wir müssen es irgendwie blockieren.«
    Florence seufzte. »Morgen«, sagte sie und nahm Zacharias’ Hand. »Dieser Tag war lang genug. Er hat fast sechs Jahre gedauert.«
    Sie löschten die Laternen und verließen den Hauptraum. Als die Geräusche ihrer Schritte verklungen waren und sich Stille ausbreitete, tanzte ein einzelnes kleines Licht über das graue Oval des Portals, verharrte kurz in der Mitte und verschwand.
    Sie hatten es so warm und bequem wie in jener Nacht in der Hütte, umgeben von Eis und Schnee, aber niemand von ihnen fand zu wahrer Ruhe, und es lag nicht daran, dass fast sechs Jahre vergangen waren.
    Draußen pfiff der Wind durch die Ruinen der alten Stadt, wie damals durch die kalten Schründe des nahen Glet schers. Florence lauschte seiner Stimme, dachte an Lucius und Estell, die in einem der anderen Zimmer schliefen, unbeschwert und froh darüber, plötzlich einen Vater zu haben. Vor allem aber dachte sie an das Portal und die Botschaft aus der Vergangenheit.
    »Kannst du nicht schlafen?«, fragte Zacharias leise.
    »Nein. Und du?«
    »Ich habe sie gesehen, die Krehel.« Zacharias zögerte, und einige Sekunden lauschten sie beide dem Pfeifen des Winds. »Ich habe sie auf dem Basar von Takesch gesehen, in weiten Umhängen mit jadegrünen und opalblauen Pyramidenmustern. Und ich habe gesehen, wie sie dich entführt haben.«
    »Nicht mich. Es war eine andere Florence.«
    »Ja. Doch wie es scheint, könnten sie auch hierher kommen.«
    »Das darf nicht geschehen. Wir müssen es verhindern.«
    »Lily hat mich vor den Krehel gewarnt«, sagte Zacharias leise. »Sie meinte, die Krehel seien gefährlicher als der Seelenfänger.«
    Florence drehte den Kopf und suchte Zacharias’ Augen in der Dunkelheit. Es war schön, ihn zurückzuhaben; seine Nähe fühlte sich gut an. »Dass es ausgerechnet Penelope war …«
    »Es ergibt einen gewissen Sinn, wenn man genauer darüber nachdenkt.«
    Wieder folgte kurzes Schweigen, und diesmal schwieg auch der Wind. Es wurde so still, dass Florence Zacharias und sich selbst atmen hörte.
    »Ich habe mir das Wiedersehen mit dir anders vorge stellt«, sagte Florence schließlich.
    »Besser?«, fragte er. Es war so dunkel, dass sie nicht feststellen konnte, ob er lächelte.
    »Oh, dies war gut genug.« Sie schlang den Arm um ihn, fühlte einen warmen Körper, gesund, voller Kraft, und dachte kurz an den anderen Zacharias im Rollstuhl, der nur noch eine ferne Erinnerung war. »Aber ich habe gehofft, wir hätten mehr Zeit für uns.«
    »Mehr sorgenfreie Zeit.«
    »Ja.«
    »Es könnte eine falsche Botschaft sein«, sagte Zacharias, der natürlich wusste, was ihr durch den Kopf ging.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich jemand vor einigen Hundert Jahren einen solchen Scherz erlaubt hat«, sagte Florence.
    »Das nicht. Aber wer auch immer die Botschaft in dem Zylinder der Nachwelt hinterließ: Er könnte sich geirrt haben.«
    Florence rückte noch etwas näher an ihn heran. Draußen erklang erneut die Stimme des Winds, leise jetzt, kein Pfeifen, sondern ein sanftes Flüstern. Etwas knackte, und Florence horchte, aber das Geräusch wiederholte sich nicht. »Wäre es wirklich möglich, dass wir nur eine Simulation sind?«
    »Wir haben oft über Realität und Space gesprochen, Flo. Über Wirklichkeit und Geisteswelten. Wir denken und fühlen, also existieren wir. Letztendlich kommt es nur darauf an.«
    »Ja, aber wenn alles nur eine Illusion ist? Ich meine …«
    »Ich weiß, was du meinst. Der Verfasser des Dokuments behauptet, dass die Krehel die Schöpfer des Weltennetzes sind, dass ihre Welt, ihr Universum, die Realität ist. Angeblich sind wir Teil eines überaus komplexen Computerprogramms.«
    »Ein Experiment«, sagte Florence leise. »Er schrieb von einem Experiment.« Sie erschauerte plötzlich. »Und er verwendete denselben Namen: Genesis. Kann das ein Zufall sein?«
    »Wer weiß.«
    »Die Krehel haben damals all
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