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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger
Autoren: Andreas Brandhorst
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Veränderung. Als er in der Hütte saß und zu Abend aß, erschienen Worte im Holz des Tisches.
    Du vertrödelst deine Zeit, stand dort geschrieben, direkt neben dem Teller.
    »Was?«, fragte Zacharias erstaunt und lauschte dem brüchigen Klang seiner Stimme. Er hatte schon lange nicht mehr gesprochen, mindestens ein Jahr nicht; so fühlte es sich an.
    Du sitzt hier herum und denkst an nichts!
    »Ich denke an viele Dinge«, sagte Zacharias zum schreibenden Tisch und erinnerte sich daran, dass Florence – die in seinem früheren Leben recht wichtig gewesen war –, irgendwann einmal mit einem Buch gesprochen hatte, das seine Seiten selbst beschrieb. Er schob den Teller beiseite, um die Schrift besser erkennen zu können.
    Aber nicht an die richtigen, antwortete der Tisch. Die Worte wanderten durchs alte Holz und verschwanden auf der rechten Seite, beim Löffel, machten links neuen Platz. Es fällt mir schwer genug, dir diese Botschaft zu schicken, mein Junge. Reiß dich zusammen!
    Das war eine andere Erinnerung: Jemand hatte ihn »mein Junge« genannt, und es hatte ihm nicht gefallen.
    »Was für eine Botschaft schickst du mir?«, fragte Za charias.
    Wirre Zeichen entstanden zwischen Teller und Löffel und verschwanden nach zwei oder drei Sekunden. Eine Zeit lang zeigte das alte Holz nichts, abgesehen von einigen Flecken, und Zacharias fragte sich, woher sie stammten. Über solche Dinge dachte er nach. Er wusste, dass sie keine Rolle spielten, und gleichzeitig erschienen sie ihm wichtig genug, um darüber nachzudenken.
    Draußen wehte der Wind übers Gras des Hügels, spielte unten mit dem Sand der Dünen und flüsterte an den offenen Fenstern. Es waren vertraute Geräusche. Das Kratzen, das aus dem Innern des Tisches zu kommen schien, war nicht vertraut.
    Hör mir gut zu, Zacharias , schrieb der Tisch. Obwohl es besser heißen sollte: Lies aufmerksam. Ich bin Lily. Vielleicht erinnerst du dich noch an mich. Der vergessliche Gott? Ein alter Mann mit weißem Haar, langem Bart und cremefarbenem Gewand? Salomo beziehungsweise Penelope zapft deine Kraft an. Sie ist auf dem besten Wege, den Reset zu vervollständigen und das Distributed Conscience der Maschinenintelligenzen komplett zu übernehmen. Außerdem sucht sie nach mir, und sie wird mich finden, wahrscheinlich schon sehr bald. Du hilfst ihr dabei, ohne es zu wollen. Verstehst du das, Zacharias?
    »Nein«, sagte er und starrte auf die Worte hinab, die es immer eiliger hatten, von links nach rechts zu gelangen.
    Das habe ich befürchtet. Die Maschinenintelligenzen, und ich mit ihnen, müssen frei bleiben, Zacharias. Penelope will sie lähmen, sie blockieren, sie zu Werkzeugen ihres Willens machen. Das ist ihre Aufgabe, ihre heilige Mission. Aber sie ist nur ein Mensch, und mit Verlaub, Zacharias: Der Intellekt des Distributed Conscience ist dem ihren – oder dem irgendeines anderen Menschen, und sei er noch so begabt – weit überlegen. Und wir brauchen dieses Potenzial, um auf der Hut zu sein und eventuelle Maßnahmen zum Schutz unseres Weltennetzes zu ergreifen. An der Peripherie sind die Krehel aktiv geworden.
    »Die Krehel?«, fragte Zacharias. In ihm regten sich vage Erinnerungen an große Gestalten in Kapuzenmänteln. Er hatte sie gesehen, in einem Basar, und Florence stand mit ihnen in Zusammenhang.
    Fremde, Nichtmenschen, Aliens. Aus einem anderen Netz, das mit unserem verknüpft ist. Auf Takesch haben sie immer wieder einzelne Menschen entführt, aber inzwischen sind es Hunderte und Tausende, die sie verschleppen. Und sie sind auch auf anderen Welten erschienen. Man hat sie am Million-Meilen-Strom von Kattarat gesehen, auch in Wirikus und in der Saatwelt Lapinta. Ich befürchte, dass sie planen, unser Weltennetz zu übernehmen. Wenn sich Penelope durchsetzt, können wir uns nicht zur Wehr setzen.
    »Eine Invasion?«, fragte Zacharias.
    Es kratzte im Tisch. Verdammt, Junge, versuch wenigstens zu verstehen!
    »Es ist ruhig hier«, sagte Zacharias. »Ruhig und friedlich.« Die Worte des Tisches begannen ihn zu stören. Sie zogen und zerrten an seinen Gedanken, und er wollte, dass man sie in Ruhe ließ.
    Du kannst gar nicht verstehen, oder? Ich wünschte, es wäre mir möglich, persönlich bei dir zu erscheinen, aber dass geht leider nicht; Penelope hat dich zu gut abgeschirmt. Du steckst in einem kleinen Gefängnis und ahnst es nicht einmal, Junge! Na gut, es gibt eine andere Möglichkeit. Ein hübscher kleiner Schock. Eine Art mentaler Reset bei dir.
    »Ein
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