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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)
Autoren: Dirk Stermann
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beschäftigen. Nur hin und wieder bekam ein hautkranker Deutscher das brennende Salzwasser in die Augen oder ein sich kratzender Russe lag unbeholfen auf dem Bauch, unfähig, sich in dem schweren Wasser selbständig zu drehen. Dann ließ Robert kurz von der jeweiligen Studentin ab und rettete Neurodermitiker und Psoriatiker, die dort wochenlang kurten. Erzählte er jedenfalls.
    »Ist dieses Tote Meer so etwas wie der Zauberberg?«, fragte ich.
    »Eher eine Zaubersenke. Es liegt etwa 400 Meter unter dem Meeresspiegel. Das Sonnenlicht kommt dort gefiltert an, deshalb kann man länger in der Sonne liegen. Klimatherapie nennt man das. Die Mineralien im Wasser, der hohe Bromgehalt in der Luft, die Sonne … Du siehst die unterschiedlichsten Hautkrankheiten. Ich mochte am liebsten die Vitiligopatienten. Irre komplizierte Kur, sie müssen ganz exakte Sonnen- und Schattenzeiten einhalten. Kurz rein in die Sonne und wieder zurück, ein ständiger Kampf zwischen Sonnenbrand und Pigmentierung.«
    »Nie gehört«, grummelte ich.
    »Weißfleckenkrankheit. Scheckhaut. Eine Pigmentstörung. Am Toten Meer sind sie aber alle quietschvergnügt, weil jeder krank ist. Man muss sich nicht genieren, jeder hat irgendwo Flecken oder Tupfen. Die meisten sind da echt entspannt.«
    Einer Frau aus Nürnberg, die aussah wie die klassische Kriegsverbrecherin, spitz und hart mit mitleidslosem Blick, hatte er Schwimmtampons besorgen müssen, weil das Salzwasser ihrem Intimbereich üble Schmerzen zufügte. Sie lag im Meer, brüllte wie am Spieß und hielt sich die Scham. Die späte Rache Israels: Salz auf fremde Wunden, fand Robert. Einmal zeigte er mir ein Foto des syrischen Symphonieorchesters, das er in Ein Gedi aufgenommen hatte. Die übermütigen Musiker, übrigens größtenteils Russen, sprangen gemeinsam kopfüber in die Salzkloake, in der nicht mal Bakterien überleben. Robert fotografierte sie, als sie schreiend und fluchend salzblind aus dem Wasser stapften.
    Besonders schmerzhaft ist das Wasser bei offenen Wunden. Schon eine kleine Schnittwunde macht so ein Bad zum Höllenritt. Ein Ägypter, der in Österreich lebte, litt unter schwerer Neurodermitis. Den ganzen Körper hatte er sich aufgekratzt und er sprang, weil er das Jucken nicht mehr aushielt, ins Tote Meer. Robert hatte ihn noch warnen wollen, aber zu spät. Der Schrei war lauter als der Lärm der Hubschrauber, die über den nahen Hoteldächern kreisten, auf denen hautkranke Europäerinnen nackt in der glühend heißen Sonne lagen. Mit den sich drehenden Rotorblättern versuchten die jungen israelischen Soldaten die Handtücher wegzuwehen, um freien Blick auf die nackten Frauenkörper zu haben.
    »Unter den Soldaten leiden auch viele an Hautkrankheiten, kein Wunder, wenn du in einem permanenten Aggressionszustand bist. Übrigens nicht nur die israelischen Soldaten, auch die UNO-Soldaten – blaue Helme, rote Flecken. Ist urverbreitet. Krieg ist schlecht für die Haut«, dozierte Robert, Zivildiener, Hobbydermatologe und verzweifelt bemüht, seine Jugend zu bewahren, indem er »ur« verwendete, das verstärkend gemeint ist und besonders von Wiener Schülern benutzt wird. Urheiß, urgut, urleiwand, eine Uruhr.
    Nach Dienstschluss trieb Robert gern im Toten Meer vor sich hin. In der Dunkelheit blickte er auf die unbeleuchtete Wüste, die einzigen wenigen Lichter leuchteten aus dem Kibbuz. Wenn er mit den Ohren untertauchte, hörte er das Salz, aus dem das Tote Meer zu dreißig Prozent besteht. Seine Haut habe sich hier so weich angefühlt, sagte er, wie der vielbesungene Babypopo – ohne dass Robert je schon einmal einen Babypopo angefasst hätte. »Sicher ein Bild, das irgendein schwuler Priester geprägt hat«, meinte er.
    Nach der Dämmerung war niemand mehr im Wasser. Die Touristenbusse waren nach Jerusalem weitergefahren oder über die King Hussein Bridge nach Jordanien. Robert war ganz allein. »Ich fühlte mich wie Österreich in der großen weiten Welt«, erzählte er wehmütig. »Ich habe alles, um zu funktionieren: Arme, Beine, Haare am Arsch und Bartwuchs im Gesicht, alles. Ein autarker Körper bin ich – und treibe in einer seifigen Salzsuppe. Nicht mal eine Bakterie da, kein einziges Lebewesen. Einmal trieb zwanzig Minuten lang in der Dunkelheit schweigend ein alter Mann neben mir. Er sah aus wie Ephraim Kishon und trug auch so eine getönte Brille, obwohl es finster war. Wir sprachen nichts, ich kannte ihn nicht. Nach zwanzig Minuten fragte er mich auf Deutsch:
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