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Schwert und Laute

Schwert und Laute

Titel: Schwert und Laute
Autoren: Sonia Marmen
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seinen Zügen. Kurz trafen sich die Blicke der beiden. Der Soldat öffnete den Mund zum Sprechen und schloss ihn wieder. Er schlug die Augen nieder und schüttelte langsam den Kopf. Dann ergriff er seine Muskete, drehte sich auf dem Absatz um und ging in die Dunkelheit hinaus.
    Liam spürte, wie sich ein ungutes Gefühl in seiner Magengrube ausbreitete. Der junge Mann hatte ihn in voller Absicht geweckt. Da war etwas im Gange. Er trat ans Fenster. Was er sah, zog ihm die Brust noch weiter zusammen. Soldaten rückten in langen Kolonnen voran. Im Licht der Kiefernfackeln, die sie trugen, blitzten die Beschläge und Bajonette ihrer Musketen. Ganz offensichtlich bereiteten sie sich auf einen Einsatz vor, und bei diesem Sturm konnte es sich gewiss nicht um eine einfache Übung handeln.
    Er kehrte ins Schlafzimmer zurück und hüllte sich in sein Plaid, das er mit einer edelsteinbesetzten Silberbrosche befestigte. In ihrer Mitte war ein Heidezweig eingraviert, das Wahrzeichen der Macdonalds. Er zog die Stiefel an und weckte dann behutsam seine Frau.

    »Was machst du da?«, fragte sie mit heiserer Stimme. »Es ist noch dunkel.«
    »MacIvor ist fort. Da geht etwas vor, Anna. Zieh dich ganz dick an, und vergiss die Schuhe nicht. Kleide auch den Kleinen an. Ich muss meinen Vater warnen. MacIvor hat mich mit Absicht aufgeweckt, und in seinem Blick stand etwas ... Brecht auf, sobald ihr fertig seid. Lass dir nicht zu lange Zeit. Hast du alles verstanden?«
    »Aber warum? Und wohin sollen wir gehen?«, rief Anna verwirrt.
    »Die Soldaten scheinen sich zum Angriff zu rüsten, Anna«, erklärte er mit tonloser Stimme. »Du musst mit Coll in die Hügel flüchten. Steigt an der Ostflanke des Meall Mor auf und sucht euch eine Zuflucht. In ungefähr einer Stunde wird es hell. Du kannst nicht hier bleiben, Liebste. Nimm deinen Dolch mit. Die Dunkelheit ist jetzt unser einziger Verbündeter.«
    »Oh, Liam! Das schaffe ich niemals ... Nicht ohne dich«, schluchzte die junge Frau furchtsam.
    Liam nahm sie in die Arme und hielt sie lange umschlungen. Zärtlich umschloss er dann ihr Kinn mit der Hand, so dass sie zu ihm aufsehen musste.
    »Anna, mo ghrian, du bist stärker, als du glaubst. Vertrau mir. Ich werde keine Zeit haben, noch einmal zurückzukommen und dich zu holen, deswegen musst du mit Coll vorangehen. Ich stoße dann mit Vater, Colin und meinen Schwestern zu euch.«
    »Ich habe Angst...«, flüsterte sie und klammerte sich an ihren Gatten.
    »Anna, ich muss fort, die Zeit drängt... Möglich, dass es um unser Leben geht«, versetzte er mit fester Stimme. »Zieh dich an und vergiss nicht, was ich dir gesagt habe.«
    »Die Ostseite des Meall Mor«, schluchzte Anna. »Ich werde es nicht vergessen. Beannachd Dhé ort, Liam. Gott schütze dich.«
    »Beannachd Dhé ort, Anna, ich liebe dich«, murmelte Liam und wischte eine Träne fort, die über die Wange seiner Frau rann.
    Er richtete sich auf, hüllte sich in seinen mit Schaffell gefütterten Umhang und steckte das lange Messer in den Gürtel, die einzige Waffe, die er zu seiner Verteidigung besaß. Die Dorfbewohner
hatten all ihre Waffen versteckt, damit die Soldaten sie nicht konfiszierten. Nach dem Aufstand von 1689 und ihrem widerwillig geleisteten Treueid gegenüber dem protestantischen König war es ihnen untersagt, andere als Jagdwaffen zu tragen. Er küsste seinen Sohn, der zu quengeln begonnen hatte, sah sich ein letztes Mal um und ging hinaus.

    Die Kälte war schneidend, und der Wind peitschte ihm ins Gesicht. Kaum vermochte er den Umriss des Hauses, in dem er aufgewachsen war, zu erkennen, obwohl es weniger als eine halbe Meile von seiner Hütte entfernt lag. Ein Stück weiter östlich marschierten die Kolonnen der Soldaten in Richtung Invercoe und Carnoch, wo der Chief lebte. Seine düsteren Vorahnungen schienen mit jedem Moment deutlichere Gestalt anzunehmen.
    »Sie werden angreifen«, stieß er entsetzt hervor.
    Er verdoppelte seine Anstrengungen und rannte durch den Schnee, der rasch höher wurde. Er musste rechtzeitig dort sein. Seine Lungen brannten, und im Schneegestöber sah er nur verschwommen. Schüsse erschollen, gefolgt von Schreien. Liam verhielt den Schritt, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, zurückzukehren und Anna und Coll zu helfen, und dem Bedürfnis, seine Familie zu warnen. Doch es war zu spät, er musste weiter. Anna musste längst unterwegs in die Berge sein, zumindest hoffte er das aus tiefstem Herzen.
    Im Haus schlummerte noch alles.
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