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Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Titel: Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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die Nacht.
    »Wende den Wagen!«, flüsterte Rupert noch einmal.
    Lukas wollte etwas erwidern, aber sein Bruder war bereits davongeschlichen. Nervös umklammerte er das Lenkrad und dachte daran, wie glücklich er heute Morgen aufgewacht war. Wie zum Teufel konnte es sein, dass ein Tag, der so begonnen hatte, derart endete? Dann drückte er die Kupplung, wartete noch einige Sekunden und legte geräuschlos den Rückwärtsgang ein.

57
    S ie wollte schreien. Aber sie brachte keinen Ton mehr heraus. Sie keuchte. Der Mann auf dem Fahrersitz drehte sich kurz zu ihr herum.
    »Ist Ihnen nicht gut?«, fragte er.
    Sie versuchte zu antworten, aber sie wusste, dass es sinnlos war. Das pelzige Frösteln im Nacken und das Gefühl, plötzlich eine zentnerschwere Platte auf der Brust zu haben, signalisierten ihr unmissverständlich, was jetzt begann.
    »Mein Spray«, keuchte sie kaum hörbar. »Ich … ich habe Asthma … Spray … in meinem Wagen.«
    Der Fahrer drückte einen Knopf auf seinem Funkgerät. »Walter, es gibt ein Problem.«
    Anja wusste, dass es jetzt nur noch um Minuten gehen konnte. Sie versuchte verzweifelt, eine Position einzunehmen, bei der sie wenigstens noch etwas Luft bekam, aber durch die gefesselten Hände hatte sie kaum Bewegungsspielraum. Sie spürte, dass sie anhielten. Ihr Keuchen erfüllte plötzlich laut den ganzen Innenraum des Wagens. Der Fahrer sah alarmiert zu ihr hin.
    »So eine Scheiße«, entfuhr es ihm. Er öffnete die Tür, stieg aus und ging zum ersten Wagen. Da zerriss ein klirrendes Geräusch die Stille. Von einem dumpfen, wuchtigen Knall begleitet, schoss jenseits des ersten Polizeiwagens eine Feuersäule empor. Anja hörte Schreie und aufgeregte Rufe. Dann riss jemand ihre Tür auf. Bevor sie noch wusste, wie ihr geschah, wurde sie aus dem Wagen herausgerissen.
    »Lauf hinter mir her, so schnell du kannst«, sprach jemand rasch auf sie ein. Rupert? Anja sackte zusammen. Sie spürte, dass er sie aufhob, schulterte und gebückt losrannte. Hinter ihnen ertönten Rufe. Aber keiner der Polizisten war zu sehen. Sie mussten weiter vorne stehen, näher an dem zuckenden Feuerschein.
    Doch dann hörte sie einen Schrei.
    »Hey! Halt! Stehen bleiben!«
    Rupert blieb stehen. Sie spürte, wie er sie unsanft auf dem Boden ablegte. Sie bekam nur schwer Luft. Ein Feuerzeug flammte auf. In seinem Schein erkannte sie jetzt Ruperts Gesicht. Ein Stück Stoff, das aus einer Flasche heraushing, fing sofort Feuer. Dann war Rupert verschwunden. Sie hörte ein Klirren und einen dumpfen Knall. Keuchend drehte sie den Kopf herum. Der Polizeiwagen, in dem sie eben noch gesessen hatte, stand in hellen Flammen. Rupert schulterte sie wieder und hastete weiter. Wo waren die Polizisten? Versperrte die Feuerwand ihnen den Weg? Wie kam Rupert plötzlich hierher? Und was tat er nur? Plötzlich spürte sie, dass ihre Wange gegen kaltes Leder gepresst wurde.
    »Bist du komplett verrückt geworden?«, schrie jemand. Lukas? Er war auch hier? Eine krachende Explosion entlud sich irgendwo und tauchte kurzzeitig alles in blendende Helligkeit.
    »Sie atmet kaum!« Das war Rupert. »Sie kriegt keine Luft.« Sie spürte Hände, die sie in eine andere Position brachten und ihren Kopf umfassten. Ein Motor heulte auf, ein krachendes Kupplungsgeräusch ertönte, gefolgt von durchdrehenden Reifen. Dann hörte sie nur noch Bruchstücke. Plötzlich breitete sich Luft in ihrer Brust aus. »Richtung Hinterweiher«, hörte sie Lukas rufen. »Ihr VW-Bus steht am Straßenrand.« Erneut drang ein warmer Luftstrom in sie ein.
    »Anja, hörst du mich?« Sie versuchte, einzuatmen, aber die zentnerschwere Platte war noch immer da. Sie versuchte es erneut mit aller Kraft, aber das Ergebnis war nur ein schwaches Röcheln. Wieder spürte sie, wie seine Lippen sich um ihre Nase legten und seine Hand ihr den Mund verschloss. Ihre Brust hob sich unter dem Druck seines eindringenden Atems. Seine andere Hand drückte die Luft wieder heraus. Sie starrte in die Dunkelheit, in der irgendwo sein Gesicht sein musste. Aber sie konnte kaum etwas sehen. Sie hörte den Motor des Wagens aufheulen, spürte den Druck der Geschwindigkeit auf ihrem Körper in den Kurven. Dann drang wieder Luft in sie ein.
    Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Ihr Leben hing an einer Ritze, durch die sie mit übermenschlicher Anstrengung das bisschen Luft einsog, das dort hindurchpasste.
    »Da!«, rief Rupert plötzlich. »Da ist der Wagen.« Sie flog fast von der Rückbank, so scharf
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