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Schwarz-Indien

Schwarz-Indien

Titel: Schwarz-Indien
Autoren: Jules Verne
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einen Anzug, den Walter Scotts würdi-
    ger Landvogt Nichol Jarvie nicht verachtet hätte.
    Die ganze zahlreiche Gesellschaft strebte der prächtig
    geschmückten Kapelle St. Gilles zu.
    Am Himmel von Coal City strahlten gleich Sonnen die
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    heute von mächtigeren elektrischen Strömen gespeisten
    Scheinwerfer. Ein Meer von Licht ergoß sich durch New
    Aberfoyle.
    Auch in der Kapelle verbreiteten die elektrischen Lam-
    pen eine außergewöhnliche Helligkeit, bei der die bunten
    Fensterscheiben wie feurige Kaleidoskope schimmerten.
    Hochwürden Pfarrer William Hobson sollte die Trauung
    vornehmen. Er wartete an der Tür der Kapelle auf die An-
    kunft der Brautleute.
    Der Zug näherte sich, nachdem er in feierlichem Schritt
    dem Ufer des Malcolm-Sees gefolgt war.
    In diesem Augenblick ertönte die Orgel und die beiden
    Paare begaben sich, von Hochwürden Hobson geführt, zum
    Hochaltar von St. Gilles.
    Erst erflehte der Priester den Segen des Himmels über
    die ganze Versammlung, dann blieben Harry und Nell allein
    stehen vor dem Diener des Herrn, der die Heilige Schrift in
    der Hand hielt.
    »Harry Ford«, begann der Geistliche, »wollen Sie Nell
    zu Ihrer Frau nehmen und schwören Sie, ihr immerfort in
    treuer Liebe anzuhängen?«
    »Ich schwöre es vor Gott dem Allmächtigen«, antwortete
    der junge Mann mit fester Stimme.
    »Und Sie, Nell«, fuhr der Seelsorger fort, »wollen auch
    Sie Harry Ford zum Gatten erwählen und ...«
    Die Formel war noch nicht zu Ende, als draußen ein
    furchtbares Getöse zu hören war.
    Einer der gewaltigen auf den See überhängenden Felsen,
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    etwa 100 Schritt vor der Kapelle, hatte sich plötzlich ohne
    jede Explosion losgelöst, als sei sein Fall schon vorher vor-
    bereitet gewesen. Darunter stürzte sich das Wasser in einen
    tiefen Abgrund, dessen Vorhandensein bis jetzt niemand
    gekannt hatte.
    Gleich darauf tauchte zwischen dem Steingeröll ein Boot
    auf, das eine kräftige Hand über das Wasser hintrieb.
    Aufrecht in dem Fahrzeug stand ein Greis in dunkler
    Mönchskutte, mit struppigem Haar und langem, auf die
    Brust niederwallendem, weißem Bart.
    In der Hand hielt er eine Davysche Lampe, in der eine
    durch das umgebende Drahtgeflecht isolierte Flamme
    brannte.
    Gleichzeitig rief der Greis mit lauter Stimme:
    »Die Wetterluft! Die Wetterluft! Tod allen und Verder-
    ben!«
    Jetzt verbreitete sich auch der eigentümliche Geruch des
    Kohlenstoff-Monokarbonats in der Luft.
    Das rührte daher, daß durch den Felsensturz eine unge-
    heure in sogenannte »Windtaschen« angesammelte Menge
    jenes explosiven Gases entwichen war.
    Früher hatte das überlagernde Gestein diese herme-
    tisch abgeschlossen. Jetzt strömte das gefährliche Gas un-
    ter einem Druck von 4 bis 5 Atmosphären zur Wölbung der
    Höhle.
    Der Greis kannte jene Windtaschen und hatte sie plötz-
    lich geöffnet, um die Atmosphäre des Gewölbes in eine ex-
    plodierende Gasmischung zu verwandeln.

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    James Starr und einige andere verließen inzwischen die
    Kapelle und stürzten zum Seeufer.
    »Fort aus der Grube! Um Gottes willen fort!« rief der In-
    genieur, der, als er die drohende Gefahr durchschaute, die-
    sen Warnungsruf durch die Tür der Kapelle sandte.
    »Die schlagenden Wetter! Die bösen Wetter!« wieder-
    holte der Greis und trieb sein Boot weiter über den See.
    Harry drängte seine Braut, seinen Vater und seine Mut-
    ter aus der kleinen Kapelle.
    »Fort aus der Grube! Schnell, schnell fort!« mahnte der
    Ingenieur nochmals.
    Es war zu spät zur Flucht! Der alte Silfax war da, bereit,
    seine letzte Drohung zu erfüllen und die Verbindung Nells
    und Harrys dadurch zu verhindern, daß er sämtliche Ein-
    wohner Coal Citys unter den Trümmern des Kohlenberg-
    werks begrub.
    Über seinem Haupt flatterte ein riesiger Harfang mit
    weißlichem, schwarz geflecktem Gefieder.
    Da stürzte sich mutig ein Mann in den See, der mit kräf-
    tigem Arm auf das Boot zuschwamm.
    Jack Ryan war es. Er bemühte sich, den Wahnsinnigen
    zu erreichen, bevor der sein teuflisches Vorhaben ausfüh-
    ren konnte.
    Silfax sah ihn näher kommen. Er zerbrach das Glas der
    Lampe, riß den brennenden Docht heraus und hielt ihn in
    die Luft hinauf.
    Das Schweigen des Todes lag auf der entsetzten Ver-
    sammlung. James Starr hatte sich in das Unvermeidliche er-
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    geben und wunderte sich nur, daß die zerstörende Explo-
    sion so lange auf sich warten ließ.
    Silfax’ Züge verrieten,
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