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Schurken machen Krawall

Schurken machen Krawall

Titel: Schurken machen Krawall
Autoren: Frank Schmeisser
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ungemütlich und hauptsächlich in Weiß gehalten. Weiße Vorhänge, weiße Schränke, weißer Tisch mit weißen Stühlen. Dazu graue Wände und ein graues Bett. So stellte ich mir das Zimmer eines gefühlskalten Superschurken vor. Von einem, dem alles Schöne zuwider war.
    „Schön, nicht wahr?“, erklang eine Stimme hinter mir.
    Ich zuckte zusammen und fuhr herum. Barbaras Mutter stand kerzengerade und mit vor dem Bauch gefalteten Händen hinter mir und musterte mich mit strengem Blick. Ich hatte sie wohl wegen der dicken Teppiche nicht kommen hören.
    „Ja“, log ich. „Schön weiß.“
    „Farben lenken vom Wesentlichen ab“, erklärte sie.
    Ich verstand nur Bahnhof. Ich hatte immer gedacht, das Wesentliche wäre, sich in einem Zimmer wohlzufühlen und darin stundenlang Comics zu lesen oder zu zeichnen. Aber vielleicht ist das Wesentliche ja auch, den Drang zu bekämpfen, sich aus dem Fenster zu stürzen, um der weißen Einöde zu entkommen? Als eine Art Training des Überlebenswillens?
    „Das ist mein altes Kinderzimmer, weißt du? Wir haben alles so gelassen, wie es war“, erzählte mir Barbaras Mutter, während ich sie spontan bedauerte und sie auf der Suche nach schönen Erinnerungen langsam durch ihr Zimmer schritt. Sie blieb vor einem weißen Regal stehen, in dem außer alten Schulbüchern auch eine kleine Puppe stand. Kerzengerade – wie Barbaras Mutter selbst.
    Barbaras Mutter sah ein bisschen so aus wie aus der Zeit gefallen. Sie erinnerte mich an die Haushälterin von Heidi. Frau Rottenmeier. Die trug auch immer so viel Kleid, als ob ein Sonnenstrahl auf der Haut sie verdampfen lassen könnte wie einen Vampir im Solarium.

    Zaghaft lächelnd nahm Barbaras Mutter die Puppe aus dem Regal und zupfte ihr das Kleidchen gerade. Auf dem Kopf hatte die Puppe einen Dutt. Einen Dutt nennt man den dicken Knoten, den man aus seinen Haaren macht, damit der Kopf strammer auf dem Hals sitzt und nicht so hin und her schlackert. Kennt man ja aus der Schifffahrt. Seemannsknoten und so. Frauen mit Dutt halten daher ihren Kopf immer sehr gerade und müssen ständig damit rechnen, überfahren zu werden, weil sie nicht nach links oder rechts gucken können, bevor sie die Straße überqueren.
    „Nun …“ Barbaras Mutter, die gerade noch in Gedanken versunken schien, stellte die Puppe zurück ins Regal und kam auf mich zu. „Ich freue mich, dich mal wiederzusehen.“
    „Das glaube ich Ihnen gerne“, sagte ich. „Das geht fast allen so. Ich freue mich auch.“
    Dann reichte sie mir ihre Hand und ich wusste für einen Moment nicht, was sie von mir erwartete. Schließlich hatte ich selten mit so feinen Damen zu tun. Meine Familie ist nicht so fein. Eher handfest und körnig wie grobe Leberwurst. Kurz entschlossen schnappte ich mir ihre Hand und küsste sie. Barbaras Mutter war perplex. Damit hatte sie wohl nicht gerechnet. Dass einer wie ich so tolle Manieren hatte. Noch beeindruckender wäre mein Handkuss wohl gewesen, wenn ich vorher daran gedacht hätte, meinen Kaugummi aus dem Mund zu nehmen. Denn der klebte jetzt als rosa Sabberklumpen mitten auf ihrem Handrücken. Barbaras Mutter starrte darauf, zog ein Taschentuch aus ihrem Ärmel wie ein Zauberer und entfernte den Kaugummi.
    „Ich bringe dich mal zu Barbaras Zimmer“, sagte sie.
    „Sehr gerne, Frau Schwemme.“
    Sie nickte mir zu und ging an mir vorbei in den Flur. Ich folgte ihr.
    „Was ist denn das?“, fragte Barbaras Mutter auf einmal, ging leicht in die Knie und begutachtete zwei braune Streifen auf dem Teppich.
    „Auf den Kacheln geht es weiter“, sagte ich und zeigte den Flur hinunter.
    „Das sind keine Kacheln. Das ist Marmor.“
    Marmor kannte ich jetzt nur als Kuchen und nicht als Kachel. Aber wenn man Marmorkuchen lange stehen lässt, wird er ja auch bretthart. Ich nahm mir fest vor, der Sache beim nächsten Kaffeeklatsch meiner Mutter mal auf den Grund zu gehen und den Marmorkuchen zu klauen. Den würde ich dann in Scheiben geschnitten so lange unter meinem Bett lagern, bis er hart genug war, dass ich ihn heimlich auf unseren Flurboden kleben konnte. Als Überraschung für meine Mutter, die ja auch gerne ein etwas pompöseres Leben führen würde.
    Barbaras Mutter sah erst zu mir hoch und dann meinen Koffer an, der am Ende der braunen Spuren stand.
    „Oha. Da bin ich in der Einfahrt wohl durch einen Kackhaufen gefahren“, stellte ich mit leiser Stimme fest. Die braunen Spuren waren definitiv von einem Hundehaufen, und den hatte ich
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