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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition)
Autoren: Doris Lessing
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Karikatur, zugegeben, aber wahr in ihrer Überhöhung der Wirklichkeit. Ein Vers von Gerald Manley Hopkins verfolgte mich.
    This, by Despair, bred Hangdog dull; by Rage,
    Manwolf, worse; and their packs infest the age.
    »… und ihre Horden verpesten die Zeit.« Oft wachte ich aus einem Traum auf und murmelte diese Worte. Das war ich: Hopkins meinte mich.
    Ich lebte in einer Horde, gehörte zu einer Horde. Aber wenn die Genossen die Treppe zum Obergeschoss des Hauses heraufkamen – und das taten sie oft, denn da oben wohnten eine muntere junge Frau und ihr entzückender kleiner Junge, noch dazu eine Exotin, die aus Afrika kam, das in diesen Tagen stets für eine Schlagzeile gut war –, dann traf ich Leute, die sich für das interessierten, was ich über Südafrika und Südrhodesien zu sagen hatte. Außerhalb kommunistischer Kreise traf ich mit meiner Behauptung, dass Südrhodesien alles andere als ein Paradies voll glücklicher Schwarzer war, auf höchst empfindliche Ohren. Du bist verbohrt, gab man mir mit vielsagendem Blick zu verstehen. Mit welcher Herablassung bin ich von Leuten behandelt worden, die von alledem nichts wissen wollten! Aber die Genossen wollten es wissen. Darin genau bestand der Reiz, der von kommunistischen Zirkeln ausging, dass die Menschen etwas
wissen wollten
, wenn man bemerkte: »Ich war in Peru, und …« Die Welt war ihr Verantwortungsbereich. Das erschien mir zunehmend lächerlich, aber so einfach lagen die Dinge nicht. Ich erinnerte mich an Salisbury, wo wir jahrelang davon ausgegangen waren, dass alles, was wir taten und dachten, von buchstäblich welterschütternder Bedeutung war, aber aus der Londoner Perspektive gesehen kam mir unsere kleine Gruppe in Südrhodesien peinlich vor, absurd – und dennoch wusste ich, dass diese absurden Leute unter all den Weißen dort die Einzigen waren, die die Wahrheit über das weiße Regime begriffen – dass es zum Untergang verurteilt war und nicht mehr lange bestehen bleiben konnte. Fragwürdig waren nicht unsere Ansichten, sondern unsere Effektivität. Und jetzt gehörte ich wieder einer Minorität an, einer sehr kleinen noch dazu, die überzeugt war, dass sie recht hatte. Dies war der Höhepunkt des Kalten Krieges. Der Koreakrieg hatte begonnen. Die Kommunisten gerieten von Tag zu Tag mehr in die Isolation. Das Klima untereinander vergiftete sich zusehends. Wenn man zum Beispiel bezweifelte, dass Amerika mit Krankheitserregern getränkte Wattebäusche abwarf – biologische Kriegführung –, dann war man ein Verräter. Ich wurde von Zweifeln heimgesucht und hasste diese religiöse Sprache. Ich war nicht die Einzige. »Genosse Soundso fängt an zu zweifeln«, konnte ein Kommunist in diesem zynischen Tonfall sagen, der viele Unterhaltungen nun zu bestimmen begann. Aber noch einmal, so einfach lagen die Dinge nicht, denn es waren eindeutig nicht nur die Genossen, die sich mit einer idealisierten Sowjetunion identifizierten.
    Wiewohl nicht Mitglied der Kommunistischen Partei, wurde ich doch von den Genossen als eine der Ihren akzeptiert: Ich sprach ihre Sprache. Wenn ich mitunter mit dem Hinweis protestierte, ich sei Mitglied der Kommunistischen Partei in Südrhodesien gewesen, die jede wirkliche kommunistische Partei mit Verachtung gestraft habe, kümmerte sie das nicht – vielleicht hörten sie nicht einmal zu. Es ist zeitlebens mein Schicksal gewesen, Leuten zu begegnen, die davon ausgingen, dass ich ebenso dachte wie sie. Warum? Weil leidenschaftliche Überzeugungen oder bestimmte Annahmen für die, die sie hegen, so übermächtig sind, dass sie einfach nicht zu glauben vermögen, dass jemand so verbohrt sein kann, dass er diese nicht mit ihnen teilt. Ich konnte weder mit Joan noch mit sonst jemandem, der in dieses Haus kam, über so etwas wie »Zweifel« sprechen, die mich beschlichen – noch nicht. Obwohl es mir schwerfiel, die Parteilinie zu schlucken, gab es etwas, das sich als sehr viel stärker erwies. Die »Colonials«, die Kinder und Enkel des weltumspannenden Britischen Empire, trafen mit von der Literatur geprägten Erwartungen ein. »Wir werden das England von Shelley, Keats und Hopkins finden, das von Dickens und Hardy, den Brontës und Jane Austen. Wir werden den edlen Atem der Literatur atmen. Im Exil hat uns die Herrlichkeit des Wortes aufrechterhalten, und bald werden wir in unser Gelobtes Land eingehen.« Ausnahmslos alle Kommunisten, denen ich unter ihnen begegnete, waren von Literatur bewegt und getragen, was
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