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Schöne Neue Welt

Schöne Neue Welt

Titel: Schöne Neue Welt
Autoren: Aldous Huxley
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es keine Konservativen, sondern nur nationalistische Radikale der Rechten und nationalistische Radikale der Linken.
    Der letzte konservative Staatsmann (in England) war der Fünfte Marquis von Landsdowne; und als er einen Brief an die
    »Times«schrieb, in dem er vorschlug, daß der Erste Weltkrieg, nach dem Beispiel der meisten Kriege im 18. Jahrhundert, mit einem Vergleich beendet werden sollte, da weigerte sich der Herausgeber dieser einst konservativen Zeitung, den Brief abzudrucken. Die nationalistischen Radikalen setzten sich durch, und wir alle kennen die Folgen: Bolschewismus,
    Faschismus, Inflation, Wirtschaftsdepression, Hitler, Zweiter Weltkrieg, Ruin Europas und nahezu weltweit Hungersnöte.
    Gesetzt nun, wir seien fähig, ebensoviel aus Hiroshima zu lernen, wie unsere Vorfahren aus dem Beispiel Magdeburgs gelernt haben, dann dürfen wir uns vielleicht eine Zeit, wenn nicht tatsächlichen Friedens, so doch begrenzter und nur zum Teil verheerender Kriege erwarten. Es ist anzunehmen, daß während dieser Zeitspanne Atomkraft für industrielle Zwecke nutzbar gemacht werden wird.
    Das Ergebnis wird wohl zweifellos eine Reihe
    wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderungen sein, wie sie in solch schneller Aufeinanderfolge und Vollständigkeit noch nie dagewesen waren. Alle bestehenden Rege ln des
    menschlichen Lebens werden gesprengt werden, und neue
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    werden improvisiert werden müssen, damit sie dem
    unmenschlichen Sachverhalt der Atomkraft entsprechen.
    Ein Prokrustes in moderner Gestalt, wird der Atomphysiker das Bett vorbereiten, auf dem die Menschheit liegen müssen wird; und wenn die Menschheit nicht hineinpaßt nun, desto schlimmer für sie. Da wird eben ein wenig ausgereckt und abgehackt werden müssen, auf dieselbe Weise wie schon immer, seit die angewandte Wissenschaft wirkliche Fortschritte
    gemacht hat; nur daß diesmal das Ausrecken und Abhacken ein gut Teil drastischer sein wird als in der Vergangenheit. Diese alles andere als schmerzlosen Operationen werden von
    hochzentralisierten totalitären Regierungen überwacht werden.
    Das ist unvermeid lich; denn die unmittelbare Zukunft wird wohl der unmittelbaren Vergangenheit ähneln, und in dieser
    tendierten technische Umwälzungen, welche in einer Wirtschaft der Massenproduktion und unter einer vorwiegend besitzlosen Bevölkerung vor sich gingen, stets dazu, wirtschaftliche und gesellschaftliche Unordnung hervorzurufen. Um mit Unordnung fertig zu werden, wurde stets Macht zentralisiert und die Kontrolle durch die Regierungen verstärkt.
    Es ist also wahrscheinlich, daß alle Regierungen der Welt mehr oder weniger totalitär sein werden, sogar noch vor der industriellen Nutzbarmachung atomarer Energie; daß sie
    während und nach solcher Nutzbarmachung totalitär sein
    werden, scheint fast gewiß. Nur eine große, Dezentralisierung und Selbsthilfe erstrebende Volksbewegung könnte die
    gegenwärtige Tendenz zur Staatsallmacht aufhalten. Zum
    jetzigen Zeitpunkt ist kein Anzeichen erkennbar, daß es zu einer solchen Bewegung kommen wird.
    Es gibt natürlich keinen Grund, warum der neue
    Totalitarismus dem alten gleichen sollte. Ein Regieren mittels Knüppeln und Exekutionskommandos, mittels künstlicher
    Hungersnöte, Massenverhaftungen und Massendeportationen ist nicht nur unmenschlich (darum schert sich heutzutage niemand
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    viel); es ist nachweisbar leistungsunfähig - und in einem Zeitalter fortgeschrittener Technik ist Leistungsunfähigkeit die Sünde wider den Heiligen Geist.
    Ein wirklich leistungsfähiger totalitärer Staat wäre ein Staat, in dem die allmächtige Exekutive politischer Machthaber und ihre Armee von Managern eine Bevölkerung von
    Zwangsarbeitern beherrscht, die zu gar nichts gezwungen zu werden brauchen, weil sie ihre Sklaverei lieben. Ihnen die Liebe zu ihr beizubringen, ist in heutigen totalitären Staaten die den Propagandaministerien,
    den Zeitungsredakteuren und
    Schullehrern zugewiesene Aufgabe. Aber deren Methoden sind noch immer plump und unwissenschaftlich. Die alte,
    prahlerische Behauptung der Jesuiten, sie könnten, wäre ihnen die Erziehung des Kindes übertragen, für die religiösen Überzeugungen des Mannes bürgen, war ein Wunschdenken.
    Und der moderne Pädagoge ist wahrscheinlich noch weniger imstande, die Reflexe des Zöglings zu konditionieren, als es die ehrwürdigen Patres waren, welche Voltaire erzogen. Die größten Triumphe der Propaganda wurden nicht durch Handeln, sondern durch
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