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Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Titel: Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
Autoren: Daniel Kahneman
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erwarten, entschied sich bei der ersten Wahl eine große Mehrheit der Versuchsteilnehmer für den sicheren Gewinn gegenüber der positiven Lotterie, und eine noch größere Mehrheit der
Probanden zeigte bei der zweiten Wahl eine risikogeneigte Präferenz für die Lotterie gegenüber dem sicheren Verlust. Tatsächlich entschieden sich 73 Prozent der Befragten für A und D und nur 3 Prozent für B und C. In einer modifizierten Version des Problems, mit geringeren Einsätzen, bei dem Studenten Lotterien auswählten, die sie tatsächlich spielen wollten, zeigte sich das gleiche Ergebnismuster.
    Weil die Versuchspersonen die beiden Entscheidungen bei Problem 4 gleichzeitig erwogen, bekundeten sie in der Tat eine Präferenz für A und D gegenüber B und C. Doch wird die bevorzugte Verbindung faktisch von der abgelehnten dominiert. Addiert man den sicheren Gewinn von 240 Dollar (Option A) zu Option D, erhält man eine 25-prozentige Chance, 240 Dollar zu gewinnen, und eine 75-prozentige Chance, 760 Dollar zu verlieren. Genau dies ist Option F bei Problem 3. Somit führen die Anfälligkeit für Framing-Effekte und die s-förmige Wertfunktion bei einer Serie konkurrierender Entscheidungen zu einer Verletzung der Dominanzbedingung.
    Die »Moral« dieser Ergebnisse ist verstörend: Invarianz ist normativ unabdingbar, intuitiv überzeugend und psychologisch unrealistisch. Tatsächlich können wir uns nur zwei Möglichkeiten vorstellen, um die Invarianz zu gewährleisten. Die erste besteht darin, eine Vorgehensweise zu wählen, die äquivalente Versionen jedes beliebigen Problems in die gleiche kanonische Repräsentation transformiert. Dies ist der Grund für die gängige Ermahnung an Studenten der Betriebswirtschaftslehre, jedes Entscheidungsproblem unter dem Gesichtspunkt der Gesamtvermögenshöhe und nicht nach Gewinnen oder Verlusten zu erwägen. 10 Eine solche Repräsentation würde die in den vorangehenden Problemen veranschaulichten Verletzungen der Invarianz vermeiden, aber dieser Rat lässt sich leichter geben als befolgen. Außer in Situationen eines möglichen Ruins erscheint es selbstverständlicher, finanzielle Ergebnisse als Gewinne und Verluste statt als Vermögenszustände zu betrachten. Überdies erfordert eine kanonische Repräsentation risikobehafteter Gewinnaussichten eine Verknüpfung aller Ergebnisse konkurrierender Entscheidungen (z. B. Problem 4), die die Fähigkeiten intuitiver Berechnung selbst bei einfachen Problemen übersteigt. In anderen Kontexten wie Sicherheit, Gesundheit oder Lebensqualität lässt sich eine kanonische Repräsentation noch schwerer erreichen. Sollten wir Menschen raten, die Folgen einer gesundheitspolitischen Maßnahme (z. B. Probleme 1 und 2) nach der Gesamtsterblichkeit, der krankheitsbedingten Sterblichkeit oder der Anzahl der mit einer bestimmten Krankheit verbundenen Todesfälle zu beurteilen?
    Eine zweite Vorgehensweise, die die Invarianz gewährleisten könnte, ist die Bewertung von Optionen anhand ihrer versicherungsmathematischen statt ihrer psychologischen Konsequenzen. Das versicherungsmathematische Kriterium besitzt einen gewissen Reiz, wenn es um Menschenleben geht, aber es ist eindeutig unzureichend für finanzielle Entscheidungen, wie zumindest seit Bernoulli allgemein anerkannt ist; und es lässt sich keinesfalls auf Ergebnisse anwenden, die keine objektive Metrik besitzen. Wir gelangen zu dem Schluss, dass die Framing-Invarianz nicht aufrechtzuerhalten ist und dass das subjektive Überzeugtsein von der Richtigkeit einer bestimmten Entscheidung nicht gewährleistet, dass bei einer anderen »Einrahmung« respektive Darstellung die gleiche Entscheidung getroffen würde. Es ist daher ratsam, die Robustheit von Präferenzen durch gezielte Versuche zu überprüfen, ein Entscheidungsproblem auf mehr als eine Weise zu formulieren. 11

Die Psychophysik von Wahrscheinlichkeiten
    Unsere Diskussion ging bislang von einer bernoullischen Erwartungsregel aus, wonach man den Wert oder Nutzen einer unsicheren Aussicht dadurch erhält, dass man die Nutzwerte der möglichen Ergebnisse addiert, gewichtet nach ihrer jeweiligen Wahrscheinlichkeit. Zur Überprüfung dieser Annahme wollen wir ein weiteres Mal psychophysische Intuitionen zurate ziehen. Wir setzen den Wert des Status quo mit null an und stellen uns ein Geldgeschenk vor, zum Beispiel in Höhe von 300 Dollar, dem wir einen Wert von eins zuschreiben. Stellen wir uns jetzt vor, dass wir ein Lotterielos mit einem einzigen Gewinn
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