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Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Titel: Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
Autoren: Daniel Kahneman
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Urteilenden Wahrscheinlichkeitsverteilungen für viele Größen erhalten. Diese Verteilungen zeigten große und systematische Abweichungen von einer ordnungsgemäßen (»sauberen«) Kalibrierung. In den meisten Studien sind die tatsächlichen Werte der geschätzten Größen bei etwa 30 Prozent der Probleme entweder kleiner als X 01 oder größer als X 99 . Das heißt, die Versuchsteilnehmer geben allzu enge Konfidenzintervalle an, in denen sich ein höheres Maß an Sicherheit widerspiegelt, als durch ihr Wissen über die geschätzten Größen gerechtfertigt ist. Diese Verzerrung ist sowohl bei Laien als auch bei Experten weit verbreitet, und sie lässt sich auch durch Einführung sachgerechter Bewertungsregeln, die Anreize für eine externe Kalibrierung liefern, nicht beseitigen. Dieser Effekt ist zumindest teilweise auf die Ankerung zurückzuführen.
    Um zum Beispiel X 90 für den Wert des Dow-Jones-Index auszuwählen, liegt es nahe, mit der besten subjektiven Schätzung für den Dow-Jones-Index zu beginnen und diesen Wert anschließend nach oben zu korrigieren. Wenn diese Korrektur – wie die meisten anderen – unzureichend ist, wird X 90 nicht hinreichend extrem sein. Ein ähnlicher Ankereffekt kommt bei der Auswahl von X 10 zum Tragen, den man wahrscheinlich dadurch erhält, dass man seine beste Schätzung nach unten korrigiert. Entsprechend wird das Konfidenzintervall zwischen X 10 und X 90 zu eng sein, und die geschätzte Wahrscheinlichkeitsverteilung
wird zu schmal sein. Für diese Interpretation spricht auch, dass die subjektiven Wahrscheinlichkeiten durch ein Verfahren, bei dem die beste Schätzung nicht als Anker dient, systematisch verändert werden können.
    Es gibt zwei verschiedene Methoden, um subjektive Wahrscheinlichkeitsverteilungen für eine gegebene Größe (den Dow-Jones-Index) zu erhalten: (i) indem man den Versuchsteilnehmer bittet, Werte für den Dow-Jones-Index auszuwählen, die genau angegebenen Perzentilen seiner Wahrscheinlichkeitsverteilung entsprechen, und (ii) indem man den Probanden bittet, die Wahrscheinlichkeiten zu schätzen, dass der wahre Wert des Dow-Jones-Index einige genau angegebene Werte übertreffen wird. Die beiden Verfahren sind formal äquivalent und sollten gleiche Verteilungen erbringen. Allerdings legen sie verschiedene Modi der Anpassung von unterschiedlichen Ankern nahe. Beim Verfahren (i) ist der natürliche Ausgangspunkt die beste subjektive Schätzung des Befragten. Bei Verfahren (ii) andererseits ist der Proband möglicherweise in dem in der Frage angegebenen Wert »verankert«. Wahlweise mag er in der Gleichwahrscheinlichkeit beziehungsweise einer 50-Prozent-Chance verankert sein, die ein natürlicher Ausgangspunkt bei der Wahrscheinlichkeitsschätzung ist. In beiden Fällen sollte Verfahren (ii) weniger extreme Wahrscheinlichkeiten ergeben als Verfahren (i).
    Um die beiden Verfahren einander gegenüberzustellen, wurde eine Menge von 24 Größen (wie etwa die Luftlinie von New Delhi nach Peking) einer Gruppe von Probanden präsentiert, die entweder X 10 oder X 90 für jedes Problem schätzen sollte. Einer anderen Probandengruppe wurde der Mittelwert der Schätzungen der ersten Gruppe für jede der 24 Größen mitgeteilt. Sie wurden gebeten, die Wahrscheinlichkeit zu beurteilen, dass jeder der gegebenen Werte den wahren Wert der relevanten Größe übertrifft. Wenn keine Verzerrung vorliegt, sollte die zweite Gruppe auf die Wahrscheinlichkeit zurückgreifen, die der ersten Gruppe mitgeteilt wurde, nämlich 9 : 1. Doch wenn die Gleichwahrscheinlichkeit oder der angegebene Wert als Anker dienen, sollte die geschätzte Wahrscheinlichkeit der zweiten Gruppe weniger extrem sein, das heißt näher bei 1 : 1 liegen. Tatsächlich betrug die von dieser Gruppe angegebene mittlere Wahrscheinlichkeit, über alle Probleme hinweg, 3 : 1. Als die Schätzungen beider Gruppen auf externe Kalibrierung getestet wurden, fand man heraus, dass die Probanden in der ersten Gruppe zu extrem waren, was mit den Ergebnissen früherer Studien übereinstimmte. Die Ereignisse, denen sie eine Wahrscheinlichkeit von 0,10 zuschrieben, traten in 24 Prozent der Fälle ein. Dagegen waren die Probanden in der zweiten Gruppe zu vorsichtig. Ereignisse,
denen sie eine mittlere Wahrscheinlichkeit von 0,34 zuschrieben, traten in 26 Prozent der Fälle ein. Diese Ergebnisse veranschaulichen das Ausmaß, in dem der Kalibrierungsgrad vom Erhebungsverfahren abhängig ist.

Zusammenfassung
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