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Schmeckts noch

Titel: Schmeckts noch
Autoren: Eva Goris
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Testessern auf den Zahn zu fühlen. Was nach einer gewissen Karenzzeit vor dem Kunden nicht bestehen kann, fliegt wieder aus dem Regal. Um ein Produkt möglichst perfekt zu plazieren, setzt die Industrie auch auf die Popularität anderer Werbeträger. Da gibt es dann die Harry-Potter-Torte, Fußballfrikadellen oder für die reisefreudigen Esser Ethnofood, das an den Urlaub erinnern soll. Und im Maggi-Kochstudio laufen Kurse unter dem Motto »Viva Italia« und »Candle-Light-Dinner«. Sattwerden ist längst Nebensache.
    Um Backmischungen ohne Backen (das gibt es wirklich, der Kuchen muss nicht in den Ofen!) und andere Bequemlichkeiten zu erfinden, ist neben der Fleißarbeit der Forscher vor allem Hightech gefragt. Es gibt Nudeldesigner, die durch eine veränderte Oberflächenstruktur die Garzeit verkürzen. Verfahrenstechniker machen den Schaum auf Fabrik-Cappuccino noch schaumiger, die Kräcker noch knuspriger und den Joghurt noch cremiger. Flavoristen führen uns mit Aromen an der Nase herum und zaubern im Labor eine Geschmackswelt nach Bedarf: fruchtig-frisch,tropisch-süß oder rauchig-zart. Unsere Geschmacksrezeptoren, unsere Sinne und Gelüste sind längst zum Spielball der Industrie geworden, die die Befriedigung gleich parat hat: aufreißen, aufwärmen, aufessen! Werbefilmer bringen uns emotional auf die Alm, lassen Omis Kuchen backen und Opas Sahnebonbons verteilen und gaukeln uns mit Null-Informationen wie »vom Lande« eine bäuerliche Produktion vor. Ja, wo soll die Milch denn sonst herkommen? Aus dem Bankenviertel in Frankfurt?
    Doch das Misstrauen gegen die Industrie ist gewachsen. Da helfen auch über 70 000 Gütesiegel (!) nicht weiter. Die Masse hat die erwünschte Wirkung erschlagen, die Verbraucher sind »siegelmüde«. Das Forschungsprojekt »Trust in Food« kam zu folgendem Ergebnis: Nur 1 Prozent der Befragten traut der Industrie über den Weg, 4 Prozent glauben, was die Supermärkte versprechen. Immer wieder zeigen Umfragen ähnliche Ergebnisse, trotzdem ändert sich am Kaufverhalten wenig. Wie geht das zusammen? Eine Flutwelle von Ernährungsinformationen donnert über un sere Köpfe hinweg, doch die meisten Menschen wissen erschreckend wenig über den Zusammenhang von Lebensmittelproduktion und unserem Essen. In Baden-Württemberg zum Beispiel glauben 20 Prozent der Abiturienten, dass das Steak als Zellkultur in der Genfabrik wächst. Das Wissen über die Produktion und Zubereitung von Lebensmitteln schwindet. Viele Menschen mögen nicht einmal mehr rohes Fleisch anfassen, 85 Prozent können keinen klassischen Braten zubereiten.
     
Was Hänschen nicht isst …
     
    Dabei werden die Satten auf der Welt immer dicker. Die WHO geht davon aus, dass global gesehen eine Milliarde Menschen zu dick sind, 300 Millionen gelten gar als fettsüchtig! In Deutschlandist bei der Einschulung bereits jedes vierte Mädchen und jeder dritte Junge zu dick. Schon die Kleinen leiden unter Skelettschäden, Diabetes und Kreislaufproblemen. Mit den Kilos steigen die Kosten der Krankenkassen. Die dicken Kinder von heute sind die Patienten von morgen, die dem Gesundheitssystem schwer auf der Tasche liegen.
    Was Hänschen nicht isst, isst Hans nimmermehr – diese Regel gilt heute mehr denn je! Deshalb ist »Essen« als Schulfach neben Mathematik und Englisch in der Diskussion. Es gibt viel Engagement rund ums essende Kind, doch irgendwie scheint der Funke nicht zu zünden. Aktionen wie »5 am Tag« oder »Optimix«, die für fünf Obst- und Gemüseportionen und die optimale Zusammensetzung der Mahlzeiten werben, erreichen nur wenige Verbraucher. Sind wir womöglich beratungsresistent oder lassen wir uns wider besseres Wissen immer wieder verführen? Deutschlands oberste Verbraucherschützerin, Professorin Edda Müller, ihres Zeichens Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände, beklagt irreführende Werbung auf Produkten, die als besonders kindgerechte Lebensmittel gelten. Statt »viel Milch und Vitamine« hätten diese Waren den Zusatz »viel Zucker und Fett« verdient.
    Zu Recht fordert Claus-Peter Hutter, Präsident der Umweltstiftung Euronatur und Initiator der Aktion Gourmets for Nature die Einführung des Fachs Ernährungserziehung in den Schulen: »Kinder müssen lernen, wie Steckrüben, Rote Beete und Schwarzwurzeln schmecken und dass sie gleich auf dem Acker wachsen.« Aber gute Ernährung hat auch etwas mit einer intakten Umwelt zu tun, und die hängt auch mit der Herkunft der
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