Schluß mit cool (German Edition)
Ladens, der sonst immer mit einladendem Lächeln den Wagen volltankte und einen zum Zahlen in das Souvenirgeschäft lockte, wohl in der Hoffnung, die handgeschnitzten Figürchen der Tule-Indianer und die Taschenlampenbatterien dort würden sich als unwiderstehlich erweisen. Ich sah seine Füße unter der Plattform hervorragen, und sie schienen zu zappeln oder zu zucken, als studierte er eine neue Breakdance-Figur ein, die in der Bauchlage begann. Längere Zeit saß ich reglos da und sah diesen tanzenden Füßen zu, dann ließ ich die Zentralverriegelung zuschnappen, kurbelte die Fenster hoch und fuhr zurück in meine Hütte.
Was ich dort tat? Letzten Endes? Gar nichts. Nennen wir es erleuchtetes Eigeninteresse. Nennen wir’s Solipsismus, Selbsterhaltungstrieb, Feigheit, das ist mir schnurz. Ich hatte Angst – wem ginge es da anders? – und beschloß, mich nicht vom Fleck zu rühren. Vorräte und Feuerholz hatte ich massenhaft und auch genug Treibstoff für den Generator und Propangas für den Ofen, drei große Pakete holzfreies Schreibmaschinenpapier bester Qualität, Korrekturtusche, Bücher, Brettspiele – Pachisi und Monopoly – und eine vollständige Sammlung des National Geographic von 1947 bis 1962. (Der Erklärung halber sollte ich erwähnen, daß ich Sozialkunde an der Montecito School unterrichte – oder unterrichtete –, einer Privatschule in einem teuren Vorort von Santa Barbara, und daß das große Los, dessentwegen mir das Schicksal von fast allen Mitmenschen erspart blieb, etwas absolut Einfaches und Zufälliges war, nämlich meine Sabbatferien. Nach vierzehn Jahren schonungslosen Lehrerdienstes hatte ich ein Semester Urlaub bei halbem Gehalt beantragt und bewilligt bekommen, und ich wollte es dafür nutzen, die Erinnerungen an meine entbehrungsreiche und klägliche irisch-katholische Kindheit zu Papier zu bringen. Im Vorjahr hatte ein Highschool-Lehrer aus New York – den Namen habe ich vergessen – einen spektakulären succès d’estime , ganz zu schweigen von jenem d’argent , mit seiner kläglichen und entbehrungsreichen irisch-katholischen Jugend verbucht, und ich hatte das Gefühl, ich könnte dieses Terrain ebenso erfolgreich beackern. Und ich kam auch recht gut voran, bis diese Seuche zuschlug. Jetzt natürlich frage ich mich manchmal: wozu? – die Verleger sind ja alle tot. Genauso die Lektoren, Agenten, Rezensenten, Buchhändler und auch das große sympathische bücherkaufende Publikum höchstpersönlich. Was bringt das Schreiben also? Was bringt überhaupt irgendwas noch?)
Jedenfalls hielt ich mich immer in der Nähe der Hütte auf, am Vormittag schrieb ich am Küchentisch und sah durchs Fenster auf die Füße der Kiefern und Redwoods, während ich entwürdigende Erinnerungen an meine Alkoholikermutter, meinen Vater, die Tanten, Onkel, Cousins und Großeltern heraufbeschwor, und nachmittags wanderte ich auf den höchsten Gipfel hinauf und blickte in die trügerische Stille des San Joaquin Valley, das sich wie ein Erdteil unter mir ausbreitete. Am Himmel waren nirgends Flugzeuge zu sehen, kein Zeichen von Verkehr oder überhaupt einer Bewegung, keine Geräusche, nur das Zwitschern der Vögel und das Rauschen der Bäume beim Durchzug eines Windstoßes. An einem Abend blieb ich bis nach Einbruch der Dunkelheit dort oben und fühlte mich gelassen und furchterregend wie ein Gott, als ich auf die samtige Weite der Welt hinabblickte und keinen Lichtstrahl, kein Fünkchen Helligkeit dort unten entdeckte. In dieser Nacht steckte ich das Radiokabel wieder in die Steckdose, nur um den ausbleibenden Trost menschengemachten Lärms zu hören, das statische Rauschen, das von überall und nirgendwo herrührt. Denn da draußen war nichts, gar nichts mehr.
Vier Wochen später – etwa um die Zeit, als ich eigentlich mein Einsiedlerleben beendet und den versprochenen Besuch von Danielle genossen hätte – hatte ich meine erste menschliche Begegnung des neuen Zeitalters. Ich stand am Küchenfenster und schlug für das Abendessen Eipulver zu Schaum, mit einem Ohr immer auf das vollkommene und ungebrochene Rauschen des Radios lauschend, als ich ein schweres Krachen auf den morschen Planken der Verandaplattform hörte. Als erstes dachte ich, die Jeffreykiefer hätte einen Ast verloren – oder, schlimmer noch, ein Bär hätte das Corned beef gewittert, das ich geöffnet hatte, um es mit dem Rührei anzubraten –, aber beide Vermutungen erwiesen sich als Irrtum. Das Krachen vibrierte noch in den
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