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Schloß Gripsholm

Schloß Gripsholm

Titel: Schloß Gripsholm
Autoren: Kurt Tucholsky
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is, Ordnung muß sein, auch inne vierte
    Dimenzion …! Und …“ Rrrums — der Zug rangierte. Wir
    fielen aneinander. Und dann erzählte sie weiter und erklärte
    mir jedes Haus am Strom, soweit man sehen konnte.
    „Da — da is das Haus, wo die alte Frau Brüshaber in
    giewohnt hat, die war eins so fühnsch, daß ich ’n bessres
    Zeugnis gehabt hab als ihre Großkinder; die waren ümme
    so verschlichen … und da hat sie von ’n ollen Wiedow, dem
    Schulderekter, gesagt: Wann ick den Kierl inn Mars hat, ick
    scheet em inne Ostsee! Un das Haus hat dem alten Lauf-
    müller giehört. Den kennst du nich auße Weltgeschichte?
    Der Laufmüller, der lag sich ümme inne Haaren mit die
    hohe Obrigkeit, was zu diese Zeit den Landrat von der
    Decken war, Landrat Ludwig von der Decken. Und um ihn
    zu ägen, kaufte sich der Laufmüller einen alten räudigen
    Hund, und den nannte er Lurwich, und wenn nu Landrat
    von der Decken in Sicht kam, denn rief Laufmüller seinen
    Hund: Lurwich, hinteh mich! und denn griente Laufmüller
    so finsch, und den Landrat ärgerte sich … un davon ha-
    ben wi auch im Schohr 1918 keine Revolutschon giehabt.
    Ja.“ — „Lebt der Herr Müller noch?“ fragte ich. „Ach Gott,
    neien — he is all lang dod. Er hat sich giewünscht, er wollt
    an Weg begraben sein, mit dem Kopf grade an Weg.“ —
    „Warum?“ — „Dscha … daß er den Mächens so lange als
    möchlich untere Röck … Der Zoll!“ Der Zoll.
    Europa zollte. Es betrat ein Mann den Raum, der fragte
    höflichst, ob wir … und wir sagten: nein, wir hätten nicht.
    Und dann ging der Mann wieder weg. „Verstehst du das?“
    fragte Lydia. „Ich versteh es nicht“, sagte ich. „Es ist ein
    Gesellschaftsspiel und eine Religion, die Religion der Va-
    terländer. Auf dem Auge bin ich blind. Sieh mal — sie kön-
    nen das mit den Vaterländern doch nur machen, wenn sie
    Feinde haben und Grenzen. Sonst wüßte man nie, wo das
    eine anfängt und wo das andre aufhört. Na, und das ginge
    doch nicht, wie …?“ Die Prinzessin fand, daß es nicht
    ginge, und dann wurden wir auf die Fähre geschoben.
    Da standen wir in einem kleinen eisernen Tunnel, zwi-
    schen den Dampferwänden. Rucks — nun wurde der Wa-
    gen angebunden. „Wissen möchte ich … ,“ sagte die Prin-
    zessin, „warum ein Schiff eigentlich schwimmt. Es wiegt
    so viel: es müßte doch untergehn. Wie ist das! Du bist
    doch einen studierten Mann!“ — „Es ist … der Luftgehalt
    in den Schotten … also paß mal auf … das spezifische Ge-
    wicht des Wassers … es ist nämlich die Verdrängung …“ —
    „Mein Lieber,“ sagte die Prinzessin, „wenn einer übermäßig
    viel Fachausdrücke gebraucht, dann stimmt da etwas nicht.
    Also du weißt es auch nicht. Peter, daß du so entsetzlich
    dumm bist — das ist schade. Aber man kann ja wohl nicht
    alles beieinander haben.“ Wir wandelten an Bord.
    Schiffslängs — backbord — steuerbord … ganz leise
    arbeiteten die Maschinen. Warnemünde blieb zurück, un-
    merklich lösten wir uns vom Lande. Vorbei an der Mole —
    da lag die Küste.
    Da lag Deutschland. Man sah nur einen flachen, bewal-
    deten Uferstreifen und Häuser, Hotels, die immer kleiner
    wurden, immer mehr zurückrückten, und den Strand …
    War dies eine ganz leise, winzige, eine kaum merkbare
    Schaukelbewegung? Das wollen wir nicht hoffen. Ich sah
    die Prinzessin an. Sie spürte sogleich, wohinaus ich wollte.
    „Wenn du käuzest, min Jung,“ sagte sie, „das wäre ein Zück-
    zeh fuh!“ — „Was ist das?“ — „Das ist Französisch“ — sie
    war ganz aufgebracht — „nu kann der Dschung nich mal
    Französch, un hat sich do Jahrener fünf in Paris feine Bil-
    dung bielernt … Segg mohl, was hasse da eigentlich inne
    ganze Zeit giemacht? Kann ich mi schon lebhaft vorstelln!
    Ümme mit die kleinen Dirns umher, nöch? Du bischa
    einen Wüstling! Wie sind denn nun die Französinnen?
    Komm, erzähl es mal auf Lydia — wir gehn hier rauf und
    runter, immer das Schiff entlang, und wenn dir schlecht
    wird, dann beugst du dich über die Reling, das ist in den
    Büchern immer so. Erzähl.“
    Und ich erzählte ihr, daß die Französinnen sehr ver-
    nünftige Wesen seien, mit einer leichten Neigung zu Ka-
    pricen, die seien aber vorher einkalkuliert, und sie hätten
    pro Stück meist nur einen Mann, den Mann, ihren Mann,
    der auch ein Freund sein kann, natürlich — und dazu viel-
    leicht auch anstandshalber einen Geliebten, und wenn
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