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Schläft das Personal auch an Bord?

Schläft das Personal auch an Bord?

Titel: Schläft das Personal auch an Bord?
Autoren: Andreas Lukoschik
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seinem Bett in der Kabine zu bunkern. Er war entgegen seines Benehmens aber keineswegs gefährlich. Nein, was er unter dem Bett bunkerte, blieb dort liegen und wurde nach der Abreise jedes Mal wieder dem schiffseigenen Dekorationsfundus zugeführt. Unversehrt und vollzählig.
    Wie der psychologiekundige Leser sich vorstellen kann, war nicht der Sohn das Problem, sondern die Mutter. Dies umso mehr, als sie Ärztin war und in zweiter Ehe ihren erst jüngst geheirateten, schwerreichen Ehemann zügig unter die Erde gebracht hatte und nun Herrin über einen dreistelligen Millionenbetrag war. Natürlich gab es reichlich Gerüchte um diese Frau und das Mitgefühl aller war bei ihrem Sohn. Es reichte jedoch nicht dafür, ihn durch eine Eheschließung dieser Mutter zu entreißen, dazu hätte nach Aussage vieler Passagierinnen an der einen Million noch eine Null hängen müssen.
    DAS sind die Geschichten, die das Kreuzfahrtleben schreibt. Aber wie mir mein juristischer Berater eingeschärft hat, sei an dieser Stelle noch einmal erwähnt, dass das natürlich frei erfunden ist und mit lebenden Personen nichts, aber auch gar nichts zu tun hat.

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S

Schiffskoller
    Der Schiffskoller – auch »Bord Blues« genannt – ist eine sehr seltene Krankheit. Nicht, dass sie selten auftreten würde. Das nicht. Im Gegenteil. Sie kommt meist sogar mit uhrmacherischer Präzision. Aber sie befällt nur sehr wenige Menschen. Nämlich die verschwindend kleine Population an Zeitgenossen, die als Weltreisende (manchmal auch »World Cruiser« genannt oder »W.   C.« [sprich Dabbelju: Sii]) fünf oder sechs Monate am Stück an Bord eines Kreuzfahrtschiffes verbringen und einmal um die Welt schippern.
    Vielen von uns – den Autor eingeschlossen – erscheint das Auftreten des Schiffskollers als eine merkwürdige Reaktion der menschlichen Seele. Doch befasst man sich näher mit ihm, erscheint er einem logisch. Psycho-logisch.
    Wie äußert er sich? Zunächst merkt man nichts, dann mit einem Mal (die Plötzlichkeit ist geradezu typisch) gehen einem alle Mitreisenden furchtbar auf den Keks (auch »Schiffszwieback« genannt). Die Weite des Meeres lässt das Gefühl der Leere aufkommen. Und selbst strahlendster Sonnenschein macht einen melancholisch, was nur mit heftiger Essensaufnahme bekämpft werden kann. Essensstellen an Land erscheinen einem dabei besonders attraktiv, also Futterplätze, wo einem Mitreisende nicht über den Weg laufen können.
    In besonders schweren Fällen hilft selbst diese Maßnahme nichts mehr, und es macht sich Appetitlosigkeit breit mit leichten Anklängen an Perspektivlosigkeit, ja Traurigkeit. Weniger zart besaitete Reisende erleben unvorhersehbare Wutattacken und Unzufriedenheit mit allem, was auf dem Schiff geboten wird. Und beißen sich an Dingen fest, die absolut lächerlich sind.
    Die Ursachen für das Auftreten des Schiffskollers bestehen in einer akuten Mischung aus
     
einem Mangel an Individualdistanz
einem Zuviel an Wunscherfüllung und
dem vagen »Mittendrin« zwischen der Ahnung der Endlichkeit dieser Weltreise und dem Gefühl, »es ginge ewig so weiter«.
    Es liegt die Vermutung nahe, dass der Schiffskoller nichts weiter ist als eine besonders starke Form der Orientierungslosigkeit, die sich einstellt, wenn einem (wie in frühen Kindertagen) viele (um nicht zu sagen »fast alle«) Wünsche von der Nasenspitze abgelesen werden. In den Kindertagen hat man diesen paradiesischen Zustand ertragen können, weil einen die Fantasie in immer großartigere Räume davongetragen hat. ImErwachsenenalter zwingt einen die Vernunft immer wieder auf den Boden der Tatsachen. Weil der aber (wie beschrieben) paradiesische Formen annimmt, macht sich eben diese Orientierungslosigkeit breit. Denn einerseits weiß man, dass dieses Paradies endlich ist, andererseits erlebt man es täglich in allen drei Dimensionen und Kodakcolor.
    Was kann man dagegen tun? Gegen den Schiffskoller, meine ich.
    Wer ihn aktiv erst gar nicht aufkommen lassen will, kann den Rat beherzigen, den ein Weltreisender dem Autor auf einer besonders schönen Schiffstour vor den Küsten Vietnams anvertraut hat: Gemeinhin gilt ja: Entweder man hat beim Reisen Geld – oder Zeit. Wer zum Beispiel im Berufsalltag steht, dem mangelt es an Zeit für einen mehrmonatigen Urlaub, weshalb er in den zwei, drei Wochen des Jahres alles auf einmal haben will – und dafür tief in die Tasche greifen muss. Studenten und andere junge Menschen, die sich zum Beispiel in den
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