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Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Titel: Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
Autoren: Leif Randt
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ist, aber aus Understatementgründen in einem kleineren Apartment lebt als sein Sohn, hat sie nicht daran hindern wollen. Wesley wird nie müde zu erwähnen, dass er CobyCounty liebt. Bislang bucht er nur im Sommer billige Flüge, verschwindet für lange Wochenenden und betrinkt sich an fremden Orten, bloß um dann an regnerischen Dienstagen völlig ermattet zurückzukehren: »Woanders würde ich nur sehr früh sehr alt werden.« Ich kenne Wesley seit fast vierzehn Jahren, aber ich habe noch nie zu ihm gesagt, dass er aufhören soll, sich etwas vorzumachen. Eigentlich habe ich auch nicht vor, ihm das jemals zu sagen. Denn eigentlich habe ich ja nichts dagegen, wenn sich Leute etwas vormachen.
    Im Laufe der Geburtstagsnacht kommt es zu mehreren Gesprächen mit Personen, die mich schon kannten, als ich noch ein kleiner Junge in Jeansjacke war. Je angetrunkener ich werde, desto mehr berühren mich ihre lobenden Aussagen: Früher soll ich immer deutlich blasser gewesen sein. Auch soll ich jetzt häufiger lächeln und das würde mir gut stehen, ebenso wie mir mein Hemd gut stehen würde. Ich werde gefragt, ob ich zurzeit eine Beziehung, eine Freundin oder einen Freund habe, und ich erzähle, dass Carla heute leider krank ist und mit einer Wärmflasche in meinem Bett liegt. In Wahrheit liegt Carla ohne Wärmflasche in ihrem eigenen Bett, und solange sie erkältet ist, haben wir eigentlich nicht vor, uns zu sehen. Irgendwann fange ich an Gespräche zu führen, die mir in nüchternem Zustand zuwider wären. Als ich mich verabschiede, werde ich mehrfach umarmt.
    Im Frühling reisen gutaussehende Touristen in unsere Stadt. Sie kommen mit Schnellzügen angefahren oder fliegen mit Discountflugzeugen ein. Wesley will sich zwischen Anfang März und Ende April Urlaub nehmen, um wieder auf direkte Weise den Kontakt zu diesen jungen Leuten zu suchen. Ihr Alltagsleben verbringen sie als talentierte Freiberufler in den Metropolen der westlichen Welt. Wesley würde auch den Kontakt zu Touristen aus anderen Kulturkreisen suchen, aber von denen fährt keiner jemals nach CobyCounty. Zumindest ist das mein Eindruck. Andererseits kann ich gar nicht sicher sagen, ob ich Touristen aus anderen Kulturkreisen tatsächlich erkennen würde. Rein ethnisch ist CobyCounty enorm heterogen. Mein Teint zum Beispiel ist ziemlich weiß, aber der von Wesley eher ockerfarben. Trotzdem würde man sofort annehmen, dass wir auf eine gemeinsame Vergangenheit zurückblicken, schließlich sind unsere Collegejacken mit den gleichen großen Buchstaben beflockt. Wir haben die CobyCounty School of Arts and Economics besucht. Wesley war für ›Kunstgeschichte seit 1995‹ eingeschrieben und mein Studiengang hieß ›Neues internationales Literaturmarketing‹ . Heute haben wir Jobs, die vielleicht in keiner anderen Stadt der Welt so gut bezahlt sein könnten. Als Agent für junge Literatur sind meine Klienten teilweise noch minderjährig, ich streiche in ihren Texten Fehler an und verhandle später mit Verlagen über Vorschüsse und Royalties. Die Texte meiner Teenageautoren sind voll sprachlicher Wucht und sie zeigen uns älteren Jugendlichen, wie sich das Leben der jüngeren Jugendlichen heute anfühlt: Denen scheint ihr Schul- und Ferienalltag mittlerweile wie ein irrer, existenzieller Rausch vorzukommen, nicht mehr wie die leicht ironische Romantic Comedy, die Wesley und ich noch durchleben mussten. Als Teenager sind wir davon ausgegangen, dass ein Leben in kleinen, in sich abgeschlossenen Episoden stattfindet. Also haben wir uns irgendwann zum ersten Mal verliebt und es zu sinnlichen Knutschszenen auf Wiesen und Anhöhen kommen lassen. Später mussten wir tragische Trennungen hinnehmen und feierten dann aus Trotz ausschweifende Tanzpartys am Strand. Das Prinzip war, dass sich dieser Verlauf regelmäßig wiederholte: Sinnlichkeit, Trennung, Tanzparty. Gut daran ist, dass sich bis heute nie etwas verschlechtert hat.

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    Am Valentinstag finden jedes Jahr Filmpremieren im Promenadenkino statt. Dieses Jahr ist es eine leicht farbkorrigierte Langversion von »Schimmernder Dunst über CobyCounty« , also eigentlich gar keine echte Premiere, trotzdem sind die Tickets seit Wochen hart umkämpft. Sieben wurden in die Agentur geschickt, fünf hat sich mein Chef Calvin Van Persy persönlich mitgenommen, zwei blieben übrig. Ich habe Carla gar nicht erst gefragt. Zum einen ist sie noch immer stark erkältet, zum anderen weiß sie, dass die Filmpremieren am Valentinstag
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