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Schicksalsmord (German Edition)

Schicksalsmord (German Edition)

Titel: Schicksalsmord (German Edition)
Autoren: Fiona Limar
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diese Ungerechtigkeit nicht übel. Die Untersuchungshaft hatte sie zermürbt. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie verzweifelt nach einem Schuldigen für ihr Unglück suchte, und da sie ihn nicht finden konnte, musste eben ich herhalten. Dabei verdrängte sie völlig, dass mein „Überfall“, wie sie meinen überraschenden Besuch vor nunmehr fast einem dreiviertel Jahr nennt, durchaus nicht am Anfang dieser verzwickten Geschichte stand. Vielmehr war sie diejenige, die mich zuerst aufgesucht hatte.
    Eines Morgens rief sie während meiner Frühschicht im Krankenhaus an und schlug ein Treffen für den Nachmittag vor. Sie würde mich vom Dienst abholen, und wir würden in unser Stammcafé gehen, ich solle mir eine Ausrede für Mutter ausdenken, die nichts davon wissen müsse. Ihre Ankündigung erfüllte mich mit freudiger Erwartung. Es musste sich um etwas Besonderes handeln, wenn meine Schwester fast zwei Stunden Autofahrt auf sich nahm, nur um mit mir Kaffee zu trinken. Wobei man natürlich auch sagen muss, dass sie gern und viel Auto fuhr, nur eben nicht in ihre Heimatstadt Bödersbach, von ihr nur noch abfällig als „das Kaff“ bezeichnet. Dies ist einer der vielen Punkte, in denen wir uns voneinander unterscheiden. Ich mag unseren kleinen beschaulichen Kurort mit dem historischen Stadtkern sehr gern und habe es nie bereut, hier geblieben zu sein. Lydia dagegen strebte fort, solange ich denken kann.
    Trotz aller Verschiedenheit zwischen uns mochte ich meine Schwester sehr gern und hatte immer ein enges Verhältnis zu ihr gehabt. Es tat mir Leid, sie so viel seltener zu sehen, seit sie in Gießen lebte.
    Während unserer Schulzeit hingen wir wie siamesische Zwillinge aneinander, und das, obwohl Lydia fast drei Jahre älter ist als ich. Trotzdem unternahmen wir viel gemeinsam und ihre Freundinnen, die sich anfangs abfällig darüber äußerten, die kleine Schwester immer mitzuschleppen, akzeptierten meine Anwesenheit schließlich.
    Lydias Zuwendung tat mir in vielerlei Hinsicht gut. Ich war eher schüchtern und fand nicht leicht Anschluss an Gleichaltrige. So aber konnte ich von Lydias Beliebtheit profitieren.
    Zu Hause war Lydia mein Bollwerk gegen die Streitereien unserer Eltern. Anders als ich ging sie sehr gelassen damit um und verstand es meisterhaft, Vater zu besänftigen und Mutter Zugeständnisse abzuringen. Nie habe ich so recht begriffen, wie sie das bewerkstelligte.
    Als Lydia mit 20 heiratete und von zu Hause fortzog, vermisste ich sie schmerzlich. Bald darauf eskalierte unsere häusliche Situation. Mutter blieb nach einem bösen Sturz und mehreren Operationen in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkt und konnte sich nur an Krücken fortbewegen. Vaters Alkoholkonsum nahm bedenklich zu und führte drei Jahre später zu seiner Invalidisierung, die offiziell wegen Magenkrebs und fortgeschrittener Leberzirrhose erfolgte. Bald darauf wurde er zum Pflegefall. Dass ich mich neben meiner Ausbildung zur Krankenschwester und später während meiner Berufstätigkeit um ihn kümmerte, brachte mich oft an den Rand meiner Belastbarkeit. Mutter war nur am Lamentieren und Vater wurde durch seine Krankheit immer schwieriger und launischer, ich konnte ihm nichts recht machen. Nur gegenüber meiner Schwester blieb er umgänglich, und so war ich froh über jeden ihrer Besuche.
    Nach seinem Tode fand sich ein Testament an, in dem er Lydia als Alleinerbin eingesetzt hatte. Ich gebe zu, dass ich etwas betroffen war. Meine Schwester ist nicht das leibliche Kind meines Vaters, sie stammt aus der ersten Ehe unserer Mutter. Lydia war knapp zwei Jahre alt, als meine Eltern heirateten. Mutter war sehr stolz darauf, dass Vater beide Kinder gleich behandelte und keine Unterschiede in seiner Zuneigung erkennen ließ. Ich hatte allerdings oft mit einem winzigen Anflug von Neid bemerkt, dass er Lydia mir sogar vorzog. Vermutlich lag das an ihrem anschmiegsamen Wesen, mit dem sie jeden für sich einnahm. Ich war dagegen nie ein Mensch, dem die Herzen der Anderen spontan zufliegen. Das jedoch vom eigenen Vater gewissermaßen schriftlich bestätigt zu bekommen, ist schon hart. Allerdings war ich dann auch wieder in der Lage, das Ganze zu relativieren. In meinem Beruf als Krankenschwester musste ich oft erleben, wie bitter ungerecht alte oder kranke Menschen gegen sie pflegende Angehörige werden können. Da wird die Wut über die eigene Hilfsbedürftigkeit auf den Pflegenden projiziert und das Enterben ist ein durchaus probates
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