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Scheiss dich nicht an - Lebe

Scheiss dich nicht an - Lebe

Titel: Scheiss dich nicht an - Lebe
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„willst du deinem Leben vielleicht endlich einen tieferen Sinn geben und mir das Glockenspiel läuten?“, fragt er dann immer, bevor er sich die schlecht durchbluteten Stenografenhände reibt und ihm der Sabber zwischen den Lefzen herausrinnt. Und Kruzifixnocheinmal, der Biermösel wird schon noch draufkommen, warum kein Einziger von den Rotzbuben seinem Angebot Folge leisten will, kein Rätsel bleibt schließlich für immer ungelöst, kein Apfel bleibt ewig am Stamm, und kein Osterbock bleibt ungeöffnet, einen trinkt er jetzt noch, damit er nicht austrocknet, einer geht sich mit Sicherheit noch aus!
    Der Pfarrer Hein lehnt ja alles ab, weiß der Biermösel, was nach dem Scheiterhaufen im Mittelalter erfunden worden ist, er meidet den Flaschenöffner ebenso wie den Verbrennungsmotor. Da darf sich also keiner wundern, dass der für sein Glockenspiel im Kirchturm oben unbedingt einen Glöckner haben will, und zwar einen jungen und starken mit großem Herz und kleinem Arsch, wie auch ein jeder weiß, der sich ein bisserl mit den Vorlieben der Pfarrer beschäftigt, nur dass sich halt keiner von den Rotzbuben aus der Dörflichen Jugend dafür hergeben will, wie oft soll er das denn noch sagen?
    Also hat der Pfarrer Hein froh sein müssen, dass er den geistesgestörten Hasenscharten-Ulf damals im Siechenheim in Goisern drüben ausgegraben hat, und der hat wiederum froh sein können, dass ihn der Pfarrer zu sich geholt und zum Glöckner ausgebildet hat, so lautet jedenfalls seit seiner Aufnahme in den Glockenturm die allgemeine Einschätzung an den Stammtischen im Tal.
    Wenn einer nämlich so deppert ausschaut wie der Hasenscharten-Ulf, haben sich die Leute in jahrelanger Kleinarbeit sein Aussehen zusammenfantasiert, wenn einer also so eine gespaltene Lippe hat wie der Ulf plus einen so furchtbar hässlichen Buckel und drei Augen – „Jawoll! Drei Augen! Vier Zähne und sechs Ohren und keine Nase, ich schwöre!“ -, wenn einer dazu noch eine pelzige Zunge hat, die ihm bis zu den Hufen hinunterhängt („Sehr richtig, Hufe! Keine Füße, was glaubst denn du!“), wenn einer also seit seiner Geburt so deppert ausschaut, dann bleibt ihm ja sowieso nichts anderes mehr übrig, als dass er von frühester Jugend an sein Gnadenbrot im Kirchturm von irgendeinem Gottesmann fristet, außer vielleicht, er schafft es gleich in den Spiritus hinüber im Museum in Salzburg.
    Aber die Zeiten ändern sich auch im Land der Berge, Land am Strome, und nicht jeder mit einer gespaltenen Lippe und den ganzen anderen Schmankerln als Beilage kommt heute sofort in den Spiritus in Salzburg hinüber, wo dann die Japaner aus Sapporo dafür bezahlen, dass sie einen im Spiritus anschauen dürfen, da muss man heutzutage schon mehr zu bieten haben als ein paar Ohren zu viel.
    Dabei ist ja der Glockenturm selbst schon eine Sehenswürdigkeit für die Japaner aus Sapporo!
    Der ist nämlich bis obenhin angefüllt mit der ganzen Hornhaut, die dem Hasenscharten-Ulf erst an den Händen gewachsen und dann von den Händen abgefallen ist, weil das dicke Glockenseil seine Handflächen komplett zerstört hat, aber wirklich komplett. Sooft er sich daran gehängt hat wie der Krug ans Brunnenseil, hat es immer ganz ordentlich gestaubt dort oben, weil selbst ihm das Seil dann unter der Last von der immensen Glocke fast entglitten ist und er es nur unter größten Schmerzen und lautesten Schreien überhaupt hat halten können, nur mit den zwei Lederhandschuhen, in die seine Hände sich gewandelt haben, ist ihm das gelungen. Und dann hat der Pfarrer Hein erst recht gepredigt, dass dem Ulf das nur guttun kann, wenn er ein bisserl leiden muss, „oder glaubt vielleicht irgendwer von euch Saubande da unten, dass der Ulf nur wegen einer Laune der Natur so deppert ausschaut, das ist schon eine Strafe Gottes auch, der Rotzlöffel wird sich seinen Platz im Himmel erst erkämpfen müssen, Prostmahlzeit, äh, ich meine: Jubilate Deo!“
    So predigt der Pfarrer Hein.
    Wer im Frühling also genauer hinschaut zum Glockenturm, so wie das der Biermösel jetzt mit seinem Adlerauge tut, der kann dann sehen, wie der aufkommende Wind durch die Scharten in den Kirchturm hineinfährt und ein paar Schaufeln von der staubigen Hornhaut zusammenpackt und mitnimmt auf seine Reise, und auch jetzt staubt es auf einmal wieder ganz ordentlich da drüben um den Kirchturm herum, muss der Biermösel leider feststellen. Da werden weiß Gott noch ein paar Tonnen Hornhaut drinnen liegen, denkt er bei
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